Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)
erbleicht. »Das interessiert mich einen feuchten Kehricht. Ich bin nur in Sorge um meine Freunde, von denen einer gerade in sein Unglück rennt.«
»Unglück!«
»Während der andere völlig verzweifelt ist und sich weigert, schlecht über einen Mann zu denken, an dessen Treue er seinen Glauben an die Menschheit knüpft …«
»Julian ins Unglück treiben? Ich? Ich bin hier, um ihn zu retten, Sie Schwachkopf. Insbesondere vor Ihnen!«, schleuderte ich ihm entgegen. Am liebsten hätte ich ihn geschlagen.
Er zuckte zusammen. »Wer zum Teufel sind Sie?«
»Sie haben es nicht verdient, es zu erfahren, Geoffrey Warwick.«
»Ich verlange, dass Sie jetzt den Mund aufmachen.«
»Mit welchem Recht?«
Sein Blick wurde drohend. »Niemandem«, entgegnete er nach einer Weile kalt, »liegt Captain Ashfords Wohlergehen mehr am Herzen als mir.«
Ich schüttelte den Kopf und wollte schon etwas erwidern, doch in diesem Moment bewegte sich eine Wolke, so dass sich die Lichtverhältnisse änderten und sich ein Sonnenstrahl in den Augen des Mannes fing. Sie waren hellbraun mit haselnussbraunen Pünktchen darin und blickten ausgesprochen aufrichtig drein. Julian hatte mir nicht viel über Warwick erzählt, nur, dass er der Sohn eines Londoner Börsenmaklers war, gesellschaftlich also Welten von Julians alteingesessener Familie entfernt. Sie hatten sich in Eton angefreundet und zusammen in Cambridge studiert. Aber offenbar verbarg sich viel mehr hinter diesen kargen Fakten – Julian, der tapfer die Hand über die gewaltige Kluft der Klassenunterschiede und des auf einen jungen Menschen ausgeübten sozialen Drucks streckte, und Geoff, der ihm deshalb vermutlich treu ergeben war. Und plötzlich erschien aus heiterem Himmel ich auf der Bildfläche und störte das Gleichgewicht – eindeutig weder eine Florence Hamilton noch eine Adlige und deshalb in Geoffreys Augen Julians nicht würdig. Ich dachte an die Villa in Greenwich, die Vorzeigeehefrau und Geoffs gnadenlosen Ehrgeiz. Er war ein Neureicher und in gewisser Weise ein Emporkömmling. Vielleicht steckte ja eine gute Portion Selbsthass hinter seinem instinktiven Bedürfnis, Julian vor mir zu beschützen.
Und vielleicht stand eine Möglichkeit, Julian zu retten, jetzt genau vor mir.
»Hören Sie«, begann ich in sanfterem Ton, »lassen Sie uns kurz miteinander reden. Schließlich wollen wir beide nur Julians Bestes …«
»Das bezweifle ich stark.«
»Sie sind wirklich ein dickköpfiger Mensch«, erwiderte ich, stellte den immer schwerer werdenden Korb ab und verschränkte die Arme. »Ob Sie es nun glauben oder nicht, ich liebe Julian Ashford. Nicht wegen seines Geldes oder seiner gesellschaftlichen Stellung, sondern um seiner selbst willen. Wegen all seiner wundervollen Eigenschaften, für die Sie ihn ebenfalls gernhaben. Moment«, ich hob die Hand, »lassen Sie mich bitte ausreden. Sicher ist Ihnen klar, dass ich viel über Ihre Vergangenheit weiß. Nun, zufällig weiß ich auch gewisse Dinge über die Zukunft. Dinge, die uns allen widerfahren und die Julian, den wir beide lieben, Schaden zufügen werden. Mein einziges Ziel ist es, ihn davor zu bewahren. Also …«
»Papperlapapp!«, entfuhr es ihm. »Nichts als böswilliger, verlogener Schwachsinn. Sie halten sich wohl für eine Art Zigeunerhexe, was?«
»Ach, da ich Ihnen einiges an Kenntnissen voraushabe«, antwortete ich, um Fassung bemüht, »kann mich Ihre Bemerkung nicht kränken.«
»Ich verstehe nur so viel«, fuhr Geoff ein wenig ruhiger fort, »dass Sie glauben, Captain Ashford vor mir schützen zu müssen. Ausgerechnet vor mir, der ich ihn bis zum letzten Atemzug verteidigen würde. Ich sollte Sie zurück in die Gosse stoßen, wo Sie hingehören …«
»Das würde er Ihnen nie verzeihen.«
Er hielt inne und starrte mich an. »Frauen wie Sie …«
»Das reicht. Nicht einmal ihm zuliebe muss ich mir so etwas anhören. Dann einigen wir uns eben darauf, dass wir einander nicht leiden können. Einen anderen Ausweg sehe ich nicht. Aber könnten wir das bitte beiseitelassen und uns um Julians Interessen kümmern?«
»In Captain Ashfords bestem Interesse wäre es, wenn Sie sofort aus seinem Leben verschwinden würden.«
»Nein!«, entgegnete ich in scharfem Ton und bohrte Warwick den Zeigefinger in die Brust. »Julians Interessen liegen in Ihren Händen. Denn Sie sind derjenige, der ihn verraten wird. Sie .«
Er wich mit offenem Mund zurück. Seine harten Lederschuhe gerieten auf dem noch feuchten
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