Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)
nicht.«
»Nein, ich verstehe es nicht. Ich blicke da sowieso nicht ganz durch. Wie sind sie alle hierhergekommen? Und warum? Das ist doch Wahnsinn und außerdem unheimlich. Und nun muss Julian vielleicht deshalb sterben, wenn ich keinen Weg finde, es zu verhindern.«
Hilflos zuckte er mit den Schultern und stützte die Ellbogen auf den Tisch zwischen uns. »Ich wünschte, ich hätte eine Idee«, seufzte er.
»Was, wenn er bereits tot ist?«, fragte ich leise. »Oh!« Ich fuhr in meinem Sitz hoch, denn mir war eine Erkenntnis gekommen. »Professor, das alles ist nur meine Schuld. Wenn er mich nie kennengelernt und geheiratet hätte …«
Plötzlich stürzte alles auf mich ein. Bis jetzt hatte ich mich nur mit den Tatsachen und möglichen Lösungen beschäftigt, weil ich eine gründlichere Auseinandersetzung mit den Ursachen lieber vermeiden wollte. Vielleicht lag es an meinem Wissen, dass ich der Schlüssel zu alldem war. Wenn Julian mich nie kennengelernt hätte. Wenn wir nie ein Paar geworden wären. Wenn ich kein Kind von ihm erwarten würde. Ihn nie geheiratet hätte. Dann hätte der arme Hamilton auch nicht den Verstand verloren.
»Es ist ganz allein meine Schuld«, sagte ich mit schwacher Stimme. »Wenn er stirbt, habe ich das zu verantworten.« Ich schlug die Hände vors Gesicht. »Ich muss es verhindern. Ich könnte nicht damit leben.«
»Nein, nein«, wandte Hollander mit sanfter Stimme ein, »es ist nicht Ihre Schuld, Sie Arme. Sie haben sich in ihn verliebt und ihn glücklich gemacht. Das ist kein Verbrechen. Für Hamiltons Geisteszustand können Sie nichts.«
Ich hob den Kopf und blickte ihn an. »Ich bin schwanger. Wussten Sie das? Deshalb haben wir so überstürzt geheiratet.«
Hollander erbleichte. »Ich hatte ja keine Ahnung. Mein Gott!« Er hielt inne und blinzelte. »Julian Ashfords Kind«, flüsterte er. »Mein Gott, ich hätte nie …«
»Nun, es ist wahr. Wir haben es erst am Samstag erfahren«, sagte ich leise und schaute aus dem Fenster, wo der undurchdringlich schwarze Nachthimmel über dem Atlantik an uns vorbeiglitt und mit dem Meer unter uns verschmolz. »Julian hat auf einer sofortigen Hochzeit bestanden. Er hatte ohnehin schon ein schlechtes Gewissen, weil er mich noch nicht geheiratet hatte.«
Hollander musterte mich. »Verraten Sie mir eines, Kate. Wie weit würden Sie gehen, falls Julian wirklich Lebensgefahr droht?«
»Ich würde mein Leben für ihn opfern«, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen. »Ich weiß, wie abgedroschen das klingt, aber es stimmt. Wenn man mich auffordern würde, mir eine Kugel in den Kopf zu schießen, um Julian zu retten, und ich mir des Erfolgs sicher sein könnte, würde ich es tun.«
»Obwohl Sie damit sein Kind töten würden?«
Ich zögerte. »Aber so hätte er wenigstens noch die Chance, andere Kinder zu haben.«
»Doch er wäre nicht damit einverstanden, oder?«
»Ganz sicher nicht, ob nun mit oder ohne Baby. Wovon reden wir hier eigentlich?«, fügte ich mit einem argwöhnischen Blick hinzu.
Schweigend saß er da und malte mit den Fingern große Kreise auf die lackierte Tischplatte. »Das wohl Geheimnisvollste an der ganzen Sache«, begann er zögernd, »ist natürlich die Frage, wie diese Männer überhaupt in die Gegenwart gelangt sind.«
»Das würde ich auch gerne wissen. Ich habe ja selbst noch immer Schwierigkeiten, es zu glauben.«
Er drehte die Hände um und starrte auf seine Handflächen. »Ich denke, diese Frage kann ich Ihnen beantworten.«
Erschrocken fuhr ich hoch und glaubte schon, mich verhört zu haben. »Das können Sie? Wirklich? Warum haben Sie dann nicht schon früher den Mund aufgemacht? Wann sind Sie darauf gekommen?«
»Offen gestanden, weiß ich es bereits seit einiger Zeit.«
»Wirklich?« Ich beugte mich vor und umfasste die Tischkante. »Also, was ist es? Löcher im Boden? Ein kosmisches Ereignis?«
»Nein«, erwiderte er, und ein entschuldigender Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. »Ich fürchte, es liegt einfach nur an mir.«
Kurz schien die Kabinenbeleuchtung dunkler zu werden. Verwirrt saß ich da und lauschte dem leisen hohen Oberton, der im Dröhnen der Triebwerke mitschwang.
»An Ihnen?«, wiederholte ich ungläubig.
»Ja, nur an mir.«
»Was soll das heißen?« Ich schüttelte den Kopf.
»Das Warum lässt sich einfach beantworten. Weil ich Historiker bin und mich mit einem der faszinierendsten Themen überhaupt befasse, nämlich mit diesen außergewöhnlichen Männern, die in
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