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Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)

Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Das Meer der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatriz Williams
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übertreib mal nicht. Ich bin wirklich nicht sehr gut.«
    Er zuckte mit den Schultern. »Du sprichst von Technik, die ich überhaupt nicht beurteilen kann. Ich habe nur deine natürliche und anmutige Haltung gesehen. Würdevoll trifft es vielleicht besser. Du hast eine natürliche Contenance, Liebling, die sich auf eine für mich faszinierende Weise äußert.«
    Bis zu diesem Moment hatte ich alles versucht, meine Schwärmerei für Julian Laurence nicht ausufern zu lassen. Schließlich kannte ich meine Schwächen und wusste, wofür ich empfänglich war. Außerdem waren meine romantischen Illusionen gnadenlos, rasch und restlos unter dem Absatz des Collegelebens zermahlen worden. Meinen ersten Freund hatte ich, wie Spätentwicklerinnen es eben tun, kurz nach Thanksgiving in der Bibliothek kennengelernt. Er war charmant, selbstbewusst und im Abschlussjahr und zudem attraktiv mit einem träumerischen Blick. Nachdem wir ein oder zwei Wochen geflirtet hatten, fragte er mich, ob ich mit einigen Freunden – natürlich alles seine – ins Kino gehen wolle. Darauf folgte eine Einladung, bei ihm zu Hause ein Spiel der Packers im Fernsehen anzuschauen. Später sollte mir klar werden, dass er sich im Vergleich zu anderen noch ziemlich ins Zeug gelegt hatte.
    Und so saß ich im Kreise seiner Mitbewohner auf dem Wohnzimmersofa und trank Bud Light aus der Flasche. In der Halbzeit stand er auf und ging den Flur entlang. Kurz darauf hörte ich seine Stimme: »He, Kate, komm in mein Zimmer. Ich möchte dir etwas zeigen.« Als ich mich vom eingesackten Sofa hochwuchtete, spürte ich, wie seine Freunde die Blicke abwandten. Jetzt ist es also so weit, dachte ich. Vielleicht nicht, was du dir erträumt hast, aber so läuft es eben in der wirklichen Welt. Also sei keine Spielverderberin.
    Nachdem wir uns ausgezogen hatten, platzte ich in meiner Verlegenheit heraus, dass ich noch Jungfrau sei. »Oh, das ist schon okay«, lautete seine Entgegnung. »Wir müssen ja nicht alles machen.« Und das taten wir auch nicht. Doch als ich eine Stunde später mit dem Fahrrad durch die frostige und sternenklare Nacht in mein Studentenwohnheim fuhr, wusste ich, dass ich meine Unschuld verloren hatte.
    Er lud mich noch ein paarmal zu sich ein – damals wusste ich noch nicht, was ein Notstandsanruf war –, dann kamen die Weihnachtsferien, und er vergaß mich. Irgendwann im Frühling rief er aus heiterem Himmel an. Ein Freund von ihm habe behauptet, ich gebe im ganzen Studentenwohnheim damit an, mit ihm im Bett gewesen zu sein. Ich beteuerte stammelnd meine Unschuld, erinnerte mich entsetzt an einen melancholischen Freitagabend, an dem ich einem guten Freund einen Teil der Geschichte anvertraut hatte, legte auf und weinte bitterlich. Nicht wegen der falschen Anschuldigungen oder weil er mir noch etwas bedeutet hätte. Nein, der Grund war, dass er meinen Körper an intimen Stellen berührt hatte, ohne auch nur das Geringste über mich zu wissen. Offenbar hatte er nie begriffen, dass Sex für mich nichts war, mit dem man prahlte.
    Und nun stand ich hier mit diesem Mann, mit Julian Laurence, zwischen Obstkisten und plattgedrückten Kartons, und fühlte mich wieder hilflos. Während ich den rissigen, von Kaugummiflecken übersäten Gehweg betrachtete, spürte ich, wie sich seine Hand entschlossen und selbstbewusst in meine schob. Er drehte mich um und zog mich weiter.

    Julian wartete geduldig in der Vorhalle und unterhielt sich mit Joey, während ich nach oben hastete und Rendezvous-Sachen anzog – ein ärmelloses Oberteil aus Seide, enge schwarze Hose, Pfennigabsätze – und mein Haar aus dem strammen Ballettknoten befreite. Als ich aus dem Aufzug trat, schwang es ungewohnt locker um meine Schultern. Julian wandte sich von Joey ab und schien bei meinem Anblick zusammenzuzucken, obwohl sein Ton nichts verriet. »Du siehst reizend aus. Können wir?«
    »Wir können. Wohin?«
    »Mein Auto steht gegenüber. Ich dachte, wir fahren.« Höflich machte er Platz, damit ich zuerst durch die Drehtür gehen konnte.
    »Einen schönen Abend wünsche ich Ihnen!«, rief Joey uns nach.
    Während wir den kurvigen Weg die Park Avenue hinunter zurücklegten, ließ die untergehende Sonne das Blau des Himmels verblassen. Inzwischen lagen die Bürgersteige im Schatten. Nur hin und wieder lugte ein Lichtstrahl durch eine Lücke zwischen zwei Häusern, und die launische Frühlingsluft kühlte bereits ab. Ich spürte, wie Julian nach meiner Hand griff, und glaubte etwas

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