Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)
gerichtlich gegen Sie vorgehen.« Dabei betonte sie mit allen Mitteln und fletschte raubtierartig die Zähne. »Für uns stehen die Fakten fest«, fügte sie hinzu.
Ich holte tief Luft, fest entschlossen, die Sache in Würde hinter mich zu bringen. »Also gut, hier ist mein Laptop.« Ich öffnete die Tasche und lächelte Alicia zuckersüß an. »Sie kennen sich ja bestens damit aus.« Ich schob ihn über den Tisch. »Und hier ist das BlackBerry«, fuhr ich fort und legte es vorsichtig neben den Computer. Es summte auf der Tischplatte. Neue E-Mail. Vermutlich Julian. »Eine Firmenkreditkarte habe ich nicht.«
»Danke.« Die Frau von der Personalabteilung klang erleichtert. Sie hielt mir ein Blatt Papier hin. »Wenn Sie jetzt noch das hier unterschreiben würden.«
Ich nahm das Dokument und überflog es. Juristenkauderwelsch. Selbst wenn mein Gehirn voll funktionstüchtig gewesen wäre, hätte ich vermutlich kein Wort verstanden. »Wissen Sie«, sagte ich zögernd, »ich denke, ich sollte das zuerst einem Anwalt zeigen.«
»Bedaure, aber ich fürchte, ich kann Ihnen erst gestatten, diesen Raum zu verlassen, nachdem Sie unterschrieben haben.«
Ich blickte zwischen ihr, Banner, Alicia und den beiden Vorstandsmitgliedern hin und her. Banner starrte weiter auf die Tischplatte. Wahrscheinlich wusste er, was in Wirklichkeit gespielt wurde. Alicia schläft mit Banner. Wusstest du das nicht?, hallte Charlies Stimme in meinem Kopf. Eine alte Skandalgeschichte. Und zudem ausgezeichnetes Drohmaterial. Wer möchte schon wegen sexueller Nötigung vor ein Tribunal gezerrt werden?
Das Ganze war eindeutig ein abgekartetes Spiel.
Lächelnd wandte ich mich wieder an die Personalerin. »Gut«, sagte ich, »ich unterschreibe.«
Während ich meinen Namen unten auf das Dokument kritzelte, ließ ich die Frau nicht aus den Augen und tat demonstrativ so, als wäre der Inhalt des Textes mir völlig gleichgültig – meine Form des Protestes gegen diese Farce.
»Danke«, sagte die Personalerin, griff zum Telefon und tippte zwei Zahlen ein. »Ja, wir sind fertig«, meldete sie.
Ich stand auf. »Eines sollten Sie allerdings noch wissen«, begann ich ruhig und gefasst, »nämlich dass diese Frau hier« – ich wies auf Alicia – »Sie alle gerade komplett zum Narren gemacht hat. Sie können von Glück reden, wenn sie nicht eines Tages die ganze verdammte Bank an die Wand fährt, und sei es aus bloßer Unfähigkeit. Zum Glück ist das dann Ihr Problem, nicht mehr meines.«
Die Tür öffnete sich. Ich wurde von einem bewaffneten Wachmann erwartet. Also marschierte ich zur Tür hinaus und zu den Aufzügen. Dann ging es hinunter in die Vorhalle und durch das Drehkreuz und die Drehtüren auf die Straße.
Und damit war es vorbei.
Ich würde nicht in der Öffentlichkeit weinen. Obwohl ich von den unterdrückten Schluchzern Schmerzen im Hals und ein Stechen hinter den Augenlidern bekam, gelang es mir, die Tränen zurückzuhalten.
Ich wollte Julian anrufen oder ihm eine Mail schicken, aber meinen Computer und mein BlackBerry hatte die Firma ja konfisziert. Wahrscheinlich steckten sie gerade die Köpfe zusammen und lasen all die liebevollen, zärtlichen E-Mails. Auch die, die Julian mir gerade geschickt hatte und die ich noch nicht einmal kannte.
Ich stand noch immer unter Schock. Was sollte ich meinen Eltern sagen? Meinen Freunden? In zehn kurzen Minuten war mein Leben ruiniert worden. Man hatte mich wegen einer Verfehlung vor die Tür gesetzt. Das heißt, dass die Universität mir den Studienplatz wieder entziehen würde. Außerdem hatte ich keinen Arbeitsplatz und kein Einkommen mehr und stand in einer Branche, der der gute Ruf alles bedeutete, auf der schwarzen Liste. Wie sollte ich Julian gegenübertreten? Natürlich würde er mir glauben. Er würde wissen, dass ich nichts verbrochen hatte. Wahrscheinlich würde er mich ernähren und versorgen wollen. Er würde mich drängen, bei ihm einzuziehen.
Aber wie konnte ich mich so erniedrigen? Wie sollte ich Dinge von ihm annehmen, die ich nicht selbst erarbeitet hatte? Und was, wenn die Flamme seiner Leidenschaft erlosch, was unweigerlich irgendwann geschehen würde? Was sollte dann aus mir werden?
Ich nahm die U-Bahn Nummer sechs zur 77. Straße und stieg aus. Bis zu meiner Wohnung waren es nur zwei Häuserblocks. Meine leere Laptoptasche über der Schulter, ging ich langsam los, ohne die Menschen und Gebäude um mich herum richtig wahrzunehmen. Frank hatte noch Dienst am Empfang und
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