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Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)

Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Das Meer der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatriz Williams
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du mir?«
    »Natürlich.«
    »Hast du die Schlüssel noch, die ich dir gestern gegeben habe?«
    »Selbstverständlich. Hier in der Handtasche.«
    »Ich möchte, dass du zu mir gehst und die Ersatzautoschlüssel holst. Sie liegen in der mittleren Schreibtischschublade in der Bibliothek. Nimm sie mit ins Parkhaus und erkläre den Leuten dort, du seist eine Freundin von mir. Ich melde dich telefonisch an. Bist du jemals mit dem Auto nördlich von der Stadt gewesen?«
    »Nein.« Vor Schreck fehlten mir die Worte.
    »Gut, dann musst du das Navigationssystem programmieren. Dann fährst du nach Lymington zu meinem Ferienhaus. Das ist in Connecticut, etwa eine halbe Stunde von New Haven entfernt. Die Adresse ist im GPS eingespeichert. Kate, hörst du mir zu?«
    »Ja. Lymington. Adresse im GPS.«
    »Ich komme mit dem Auto aus Boston und treffe dich dort, in Ordnung? Kannst du das für mich tun?«
    »Ja.« Ich räusperte mich und wiederholte es lauter. »Ja. Ich treffe dich in Lymington.«
    »Braves Mädchen. Pack ein paar Sachen. Vielleicht bleiben wir eine Weile dort.«
    »Was?« Ich schüttelte mich. »Was soll das heißen?«
    »Das erkläre ich dir, wenn du da bist. Könntest du mir bitte einfach vertrauen? Schaffst du die Fahrt?«
    »Ja klar.«
    »Bist du sicher? Das Auto hat Schaltgetriebe. Kommst du damit zurecht?«
    »Ja, ich hatte in der Highschool so eines.«
    »Am Montagvormittag dürfte nicht zu viel Verkehr sein. Du müsstest etwas über zwei Stunden brauchen, wenn du gut durchkommst.«
    »Zwei Stunden. Okay.«
    »Der Tank ist voll. Falls du Hunger hast, kannst du unterwegs Rast machen. Am Highway wimmelt es nur so von McDonald’s. Aber beeil dich, einverstanden? Pack deine Sachen und fahr los. Ich miete mir jetzt ein Auto.«
    »Gut. Ich bin da, so schnell ich kann.«
    »Liebling, wir klären das alles, ich verspreche es dir. Bis nachher.«
    Ich schluckte. »Bis nachher.«
    Er legte auf. Eine Weile stand ich da wie angewurzelt und starrte nach Norden.
    Ich brauchte einen Moment, um wieder zu mir zu kommen, und setzte mich dann hastig in Bewegung. Die Sehnsucht nach Julian war stärker als alles andere. Rasch stopfte ich ein paar Kleider, ein zweites Paar Schuhe und meinen Kulturbeutel in eine Reisetasche.
    Anschließend ging ich ins Wohnzimmer und steuerte blindlings auf die Tür zu. Als ich aus dem Augenwinkel die Liste von Sterling Bates bemerkte, nahm ich sie und steckte sie ein. Dann hinterließ ich eine kurze Nachricht für Brooke auf dem Notizblock, der auf dem Küchentisch lag. »Brooke, bin für ein paar Tage in Connecticut. Schreib an meine Yahoo-Adresse, falls etwas Wichtiges ist. Danke, Kate.«
    »Wo wollen Sie hin?«, fragte Frank, als ich durch die Vorhalle eilte.
    »Ich fahre für ein paar Tage weg«, rief ich über die Schulter. »Um den Kopf freizukriegen.«
    »Cool. Ach, Moment, für Sie ist eben ein Päckchen gekommen. Ich wollte es gerade raufschicken.«
    Ich drehte mich um. Er hielt mir eine kleine rechteckige Pappschachtel hin. Wahrscheinlich das Buch, das ich vor einigen Tagen bei Amazon bestellt hatte. Ich wusste nicht einmal mehr, was es war. Vermutlich irgendein Wirtschaftsthema. »Danke, Frank«, sagte ich und steckte es in die Laptoptasche. »Bis bald.«

    Eine Stunde später brauste ich in einem grünen Energiebündel von Maserati durch die Vorstädte von Connecticut und genoss die Kraft, die sich bei jedem Beschleunigen aufbaute, und das gehorsame Brummen des Motors. Mein Leben war zu einer schlichten und schnörkellosen Tatsache zusammengeschnurrt: Es gab nur noch meinen Körper, der diesen Wagen befehligte. Kein Telefon. Kein Computer. Mir wurde klar, dass niemand mich erreichen konnte. Es war ein seltsam befreiendes Gefühl, das nichts mit Einsamkeit gemeinsam hatte.
    Das GPS wies mich an, bis zur Ausfahrt Nummer 70 am anderen Ufer des breiten, funkelnden Connecticut River auf der Schnellstraße zu bleiben. Am Ende der Ausfahrt bog ich links ab und entfernte mich in nördlicher Richtung vom Ufer, bis ich eine Lücke in einer Steinmauer erreichte. Rechts davon hing ein kleines hölzernes Quadrat, auf das in Weiß die Nummer 12 aufgemalt war.
    »Sie sind am Ziel«, teilte mir die Stimme des GPS gleichmütig mit.
    Ich ließ den Wagen durch die Lücke und dann die von Eichen und Birken gesäumte Auffahrt entlangrollen. Die Bäume waren jetzt, mitten im Frühjahr, üppig grün. Die Bewölkung hatte in den letzten Stunden aufgelockert, und als der Maserati über den schmalen Kiespfad

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