Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)
trägst. Ich gehöre jetzt dir, Julian. Also halt es aus, okay? Bring mich nach oben. Ich brauche …« Plötzlich stiegen mir wieder grundlos Tränen in die Augen. »Ich brauche diesen Bezug zur Wirklichkeit, besser kann ich es nicht erklären. Mir schwirrt der Kopf, und ich kann mich kaum noch aufrecht halten. Du musst mich in die Arme nehmen und uns … bitte … vereinen …« Ich griff nach seinen Händen.
»O Kate, Liebling, nicht. Ich kann nicht mehr widerstehen, ich kann nicht …«
»Dann lass es zu. Stemm dich nicht dagegen. Ich würde dich nicht darum bitten, dich anflehen, wenn es mir nur um Sex ginge. Das weißt du. Du weißt, was ich mir wünsche.«
Er schloss die Augen. »Ich weiß, Liebling. Ich will es auch. Ich will es mit aller Macht. Du kannst dir nicht vorstellen …«
Ich versuchte ihn an den Händen hochzuziehen.
»Nein, warte. Selbst wenn es richtig wäre, ist da noch eine Sache.«
» Noch eine Sache.« Ich lehnte mich zurück und blickte verzweifelt zur Decke. »War das etwa nicht alles? Was kommt jetzt? Vampire vielleicht?«
Er schnaubte belustigt. »Nein, das Problem ist eher irdischer Natur.«
»O nein«, stöhnte ich. »Fang jetzt nicht wieder mit moralischen Skrupeln an. Ich bin bereits eine gefallene Frau, Julian, und muss meine Tugend nicht mehr bewahren. Du genau genommen auch nicht.«
»Nun, das ist richtig«, räumte er ein. »Aber ich habe ja bereits zugegeben, dass ich ein schwacher Mann aus Fleisch und Blut bin. Nein, es ist eine rein praktische Angelegenheit.«
Ich wartete ab. Er betrachtete verlegen schweigend seine Hände. »Also?«, fragte ich schließlich.
»Kate, ich bin kein Experte in diesen Dingen, doch was ich weiß, ist, dass, wenn zwei Menschen, wenn ein Mann und eine Frau …« Er verstummte und fing noch einmal von vorne an. »Kate, hast du an die Möglichkeit gedacht …«
Ich bekam einen Kicheranfall. »Julian«, erwiderte ich ungläubig, »versuchst du altmodischer Mensch tatsächlich mit mir über Verhütung zu sprechen?«
Seine Wangen röteten sich heftig.
»Julian«, sagte ich lachend, »ich nehme die Pille. Also bring mich jetzt endlich nach oben.«
»Kate, ich …«
Ich stand auf und hielt ihm die Hand hin. »Julian Laurence, ich meine, Julian Ashford. Wer immer du auch sein magst, es kümmert mich nicht mehr. Wenn du jetzt nicht gleich mit mir nach oben kommst, kannst du dir eine andere Freundin suchen.«
»Freundin«, murmelte er kopfschüttelnd und blickte mich eindringlich an. Und dann fiel endlich die Entscheidung. Er erhob sich, bückte sich und warf mich mit einer mühelosen Bewegung über die Schulter. »Also gut, auf deine Verantwortung«, knurrte er und trug mich den dunklen Flur entlang, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf.
Amiens
»Also«, verkündete Julian, »ich habe Sie zu einem anständigen Abendessen eingeladen und mir trotz Ihrer geheimnisvollen Andeutungen nicht die Laune verderben lassen. Deshalb glaube ich, mir Ihr Vertrauen ehrlich verdient zu haben. Wer genau sind Sie, Kate aus Amerika? Darf ich zumindest Ihren Familiennamen erfahren?«
»Das«, entgegnete ich lachend, »wird eindeutig bis später warten müssen.« Vorsichtig umrundete ich eine von diesem regnerischen Tag übriggebliebene Pfütze, die im Mondlicht silbern schimmerte. »Sie werden mir ohnehin nicht glauben. Und selbst wenn Sie es tun, wird sich Ihr charmantes Lächeln schlagartig legen. Sie werden empört davonmarschieren oder entsetzt zum nächsten Polizeirevier stürmen.«
»Schauen Sie, Kate, für einen geradlinigen Menschen wie mich ist die Sache einfach zu mysteriös. Ich werde vor Neugier gleich wahnsinnig. Wollen Sie nicht endlich mit der Sprache herausrücken? Achtung«, fügte er hinzu und bot mir den Arm, um eine mit Regenwasser gefüllte Gosse zu überwinden. »Die öffentlichen Straßen sind in einem schockierenden Zustand. C’est la guerre, wie ich vermute.«
Ich spürte den kratzigen Wollstoff seiner Jacke unter der Hand und machte einen Satz über das Hindernis. Allerdings ließ ich seinen Arm anschließend nicht los, und er unternahm auch keine Anstalten, ihn mir zu entziehen.
»Erzählen Sie mir von Ihrem Mann«, forderte er mich aus heiterem Himmel auf.
»Meinem Mann«, wiederholte ich.
»Wenn ich mich recht entsinne, sagten Sie doch, Sie seien Witwe.«
»Ja«, antwortete ich und spürte, wie sich der Schmerz in meiner Kehle zusammenballte. »Wissen Sie, ich würde jetzt lieber nicht darüber reden. Es
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