Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)
unserer Sitzung hatte. Aber ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern. Es ist eine Situation, in der ich panisch versuche jemandem etwas zu erklären. Einem Menschen, der mir wichtig ist. Dir vielleicht? Und dann entfernt sich dieser Mensch, dieser Mann, langsam von mir und versteht mich nicht, und ich bin vor Angst wie gelähmt.«
»Erklär mir, worum es genau geht.«
»Ich weiß nicht. Jedenfalls etwas Wichtiges. Lebenswichtiges. Eine Frage von Leben oder Tod.« Ich öffnete die Augen und fixierte Julian, der mich im Dämmerlicht angespannt und aufmerksam anblickte. Dabei versuchte ich das Grauen beiseitezuschieben, das sich beim Sprechen in meinem Gehirn einzunisten drohte. »Aber es ist, als sprächen wir verschiedene Sprachen, und je stärker ich mich bemühe, desto mehr entgleitet er mir. Schräg, oder?«
Er schob meinen Kopf unter sein Kinn und fing an, mein Haar zu streicheln. »Kate«, sagte er mit belegter Stimme. »Kate.«
»Wahrscheinlich bin ich einfach nur neurotisch. Es hat nichts mit dir zu tun. Ich vertraue dir.«
Er schwieg lange und liebkoste weiter mein Haar mit regelmäßigen Strichen bis hinunter zu den Spitzen. Ich schloss die Augen und genoss das zarte Kitzeln. Nach einer Weile spürte ich, wie seine Stimme die Luft über meinem Kopf bewegte. »Ich werde dir nicht entgleiten, Kate. Ich verlasse dich nicht.« Er sagte das so nachdrücklich, als müsste er sich selbst überzeugen.
»Das weiß ich«, murmelte ich, eher um ihn als um mich selbst zu überzeugen, und schmiegte mich genüsslich an seinen kräftigen Körper. »Du bist so hart zu dir selbst.« Ich gähnte, da ich trotz des anhaltenden Unbehagens wieder müde wurde.
»Bin ich das?«
»Viel zu hart.« Ich legte den Arm über seine Brust. »Ich verlange nicht, dass du perfekt bist. Du sollst einfach nur du selbst sein. Und …« Meine Gedanken verschwammen allmählich. »Mein.«
Er stieß ein Geräusch aus. Ich konnte nicht richtig einordnen, ob es ein Auflachen oder ein Stöhnen war. »Für immer dein, Liebling. Und jetzt schlaf. Keine Alpträume mehr. Du bist jetzt in Sicherheit. Ich bin da«, sagte er irgendwo ganz dicht an meinem Ohr. Es war das Letzte, was ich hörte, bevor ich wegdämmerte, in der Hoffnung, der Schlaf würde die unheilvolle Vorahnung in meinem Bauch auflösen.
Als ich aufwachte, war er allerdings nicht da. Stattdessen lag auf dem Kopfkissen mein neues BlackBerry mit einer E-Mail in meinem Eingangsfach.
Liebling, ich muss wahnsinnig sein, mich einfach so von Deiner Seite zu entfernen. Schlaf aus und mach es Dir gemütlich. Ich habe Dir den Rover dagelassen. Kauf Dir ein verführerisches Kleid und triff mich um acht im Lymington Inn. XX
16
(Per E-Mail)
Ich: Habe mir eine lange Liste von Fragen an Dich überlegt, während ich unter der Dusche das ganze heiße Wasser aufgebraucht habe.
Julian: Eine aufregende Vorstellung.
Ich: Dann dusch nächstes Mal mit. Erste Frage: Was vermisst Du am meisten? Abgesehen von Familie und Freunden natürlich.
Julian: Die Fuchsjagd.
Ich: Im Ernst?
Julian: Ja.
Ich: Du Mörder. Der arme Fuchs.
Julian: Der Fuchs ist auf dem Land eine Plage. Ihr Städter habt die alberne Angewohnheit, wilde Tiere zu romantisieren.
Ich: Warst Du gut darin?
Julian: Ja.
Ich: Bringst Du mir das Reiten bei?
Julian: Wenn Du ein ganz braves Mädchen bist.
Ich: Ich kann auch brav sein. Zweite Frage: Hast Du Gamaschen getragen?
Julian: Gelegentlich.
Ich: Was genau sind denn eigentlich Gamaschen?
Julian: http://wikipedia.org/wiki/Gamaschen .
Ich: Ich lach mich kaputt. Würde dafür bezahlen, Dich darin zu sehen.
Julian: In welcher Währung?
Ich: Deiner liebsten.
Julian: Wirklich ein verlockendes Angebot.
Ich: Ich dachte, Ihr aus der viktorianischen Ära wärt sexuell verklemmt.
Julian: Ein Mythos.
Ich: Letzte Frage, dann kannst Du weiterarbeiten. Was genau ist zwischen Dir und dieser Hamilton gelaufen? Das Buch ist da unklar.
Julian: Hör auf, dieses verdammte Buch zu lesen. Ich erzähl Dir alles, was Du wissen willst, wenn ich zurück bin.
Ich: Beeil Dich. Ich habe Sehnsucht nach Dir.
Julian: Ich komme, so schnell es menschenmöglich ist, Liebling.
Ich starrte noch eine Weile auf das Display des BlackBerry und warf dann einen Blick auf Hollanders Biographie, die, einen Zettel vom Notizblock in der Küche als Lesezeichen, neben mir auf dem Bibliothekssofa lag. Julians Gesicht, so vertraut und doch so fremd, schaute mir mit dem düsteren, abwesenden Ausdruck eines Soldaten beim Porträtfotografen
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