Das Meer in Gold und Grau
Nabelschnecke ähnlich, die sich die Mantelfalte wie eine Kapuze über das Gehäuse stülpte, wenn sie sich von einem Seestern angegriffen fühlte. Ich lieà mir erklären, wieso Schnecken über Mantelfalten verfügten, und Ania fragte: »Hat er mich Seestern genannt?«
Sie war einen halben Tag lang beleidigt, weil wir sie so ausgelacht hatten, und Heinrich fragte mich, ob er es wohl wagen dürfe, mir, obwohl eigentlich ich »die Dame« war, das Du anzubieten, wo er doch um so vieles älter sei. Er durfte, und wir besiegelten das mit Echtem Nordhäuser Doppelkorn.
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Ich verbrachte einen relativ ruhigen Nachmittag mit der Kaffee- und Kuchenversorgung einzelner Spaziergänger, bestellte der Gräfin Brockdorff, die stets »ihren Juni« im Palau verbrachte und Georges Simenon aufs Zimmer gelegt bekam, erfolgreich ein Taxi von Halsung, nahm die Buchung einer fünfköpfigen Familie für die erste Augustwoche an und fand zwischendurch, dank Heinrichs Bereitschaft, mich im Falle von Kundschaft sofort zu rufen, noch Zeit, Zimmer acht für eine abendliche Anreise fertig zu machen, in der irrigen Hoffnung, Ania damit eine Freude zu bereiten.
Sergej hatte gerade den Kopf aus der Schwingtür gesteckt und gefragt, ob denn heute noch jemand etwas Warmes zu essen haben wollte, als ich gegen sieben Uhr abends den Wagen über den Kiesplatz zur Garage rollen hörte.
Ania kam als Erste herein, wedelte mit der Hand und sagte: »Dicke Luft!«
Sie lieà ihre prall gefüllten Einkaufstüten fallen und verlangte dringend nach einem Holunderblütenlikör.
Elisabeth kam einige Minuten später, warf ihre Handtasche und den Autoschlüssel über die Theke und begann, die Weingläser zu polieren, ohne sich zu erkundigen, wie ich zurechtgekommen sei.
»Wo ist Ruth?«, fragte ich.
»Sie geht spazieren. Wir sollen nicht mit dem Essen warten. Sind die Hansens angereist?«
Elisabeths Tonfall duldete keine Rückfrage.
»Noch nicht. Aber das Zimmer ist fertig.«
Ania brummelte etwas, Elisabeth hörte gar nicht hin.
Als ich später nach drauÃen ging, sah ich in der Dämmerung einen winzigen Punkt im hintersten Strandkorb aufglühen und erkannte eine kleine Gestalt, die allein rauchte. Ich ging zu ihr und sagte: »Der Doc war hier.«
Ruth sagte: »Na und?«
»Er wollte dich sprechen, es schien dringend zu sein.«
»Bah!« Ruth winkte ab. »Der alte Wichtigtuer!«
»Kommst du nicht rein?«
»Nein, ich hab noch zu tun.«
Sie schien an diesem Abend länger übellaunig zu sein, als es für gewöhnlich der Fall war, wenn sie Krach mit Elisabeth gehabt hatte, und ich beschloss, sie in Ruhe zu lassen.
Der Doc fing sie am nächsten Morgen auf ihrem Spaziergang ab. Ich sah sie vom Fenster aus am Strand auf und ab wandern, Ruth mit der Linken in der Hosentasche und der Rechten am Müllgreifer, der Doc mit beiden Händen heftig gestikulierend, dann sein Arm um Ruths Schultern. Sie schüttelte ihn ab und ging allein Richtung Hafen.
Später lief sie mir im Garten über den Weg.
»Hast du dich mit dem Doc gestritten?«
»Und wenn schon.«
Sie schritt an mir vorbei, ohne stehen zu bleiben.
Beim Mittagessen war alles wie immer: Der Doc schaufelte stumm das Essen in sich rein, und Ruth grantelte wegen irgendetwas herum, während Ania sich mit Heinrich über den Gestank in Zimmer elf stritt, »wie von totem Tier«. Elisabeth wirkte noch immer beleidigt, aber das konnte die unterschiedlichsten Gründe haben. Ich wollte es nicht genau wissen.
Am Nachmittag war Ruth dann so dezidiert bester Stimmung, dass ich dachte, es wird nicht so schlimm gewesen sein. Nur Elisabeth, die sonst immer auf Ruths Launen einschwenkte, bedachte sie mit misstrauischen Blicken.
Abends lief sie mir in die Küche hinterher, packte mich am Arm und zog mich in die Vorratskammer: »Hat Ruth mit dir gesprochen?«
»Ja sicher, das tut sie ab und zu. Wieso fragst du? Hab ich was angestellt?«
Sie schnaufte ärgerlich: »Es geht nicht immer um das, was du tust, Katia!«
Ich war wieder zwölf, und die von mir glühend verehrte Deutschlehrerin hatte mich eine vorlaute Göre genannt. Und schon in der siebten Klasse hätte ich mir eher die Zunge abgebissen, als vor jemand anderem eine Träne zu vergieÃen.
Vielleicht weil Elisabeth noch nie in diesem Ton mit mir geredet hatte,
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