Das Meer in Gold und Grau
achtzehn, glänzend, mit weiÃem Rand.
Auf der Diagonalen des nächsten fädelt sich eine Horde Möwen auf, die Schnäbel exakt im gleichen Winkel Richtung Horizont gewendet, das Ganze in matschiges Grau gehüllt.
Im Vordergrund eines weiteren fällt Sonnenlicht auf drei Schwäne, die sich im Synchronschwimmen üben, dabei wohlinszeniert mit dem Dreimaster am Horizont korrespondieren.
Solche Bilder zeige ich gelegentlich her, wenn mich Menschen, denen ich eigentlich nichts darüber erzählen will, nach der Zeit bei meiner Tante fragen. Die Fotos besagen nicht viel, aber die Leute sind beim Anschauen der Abzüge aus der mit hübsch beschrifteten Mappe eine Weile beschäftigt. Das bewahrt vor tiefer gehenden Fragen, die mich an andere Bilder erinnern. Immer trinke ich zu viel, wenn wir uns meine Palau-Fotos ansehen.
Â
»Noch etwas, wobei Katia in ihrem Element ist«, hieà es abends in der Kajüte, nachdem ich angefangen hatte, die neue Kamera zu benutzen. Und wer weiÃ, womit ich heute den gröÃten Teil meiner Zeit verbringen würde, hätten die Palau-Bewohner mich nicht als geborene Bildermacherin nominiert, noch
bevor ich von selbst auch nur auf die Idee gekommen wäre, dass meine Sachen für irgendetwas taugen könnten.
Elisabeth wollte Postkarten machen lassen, der Doc erbat sich eine Serie für sein Wartezimmer, Heinrich lieà sich ein Möwenporträt rahmen, und sowohl Ania als auch Bascha wollten Abzüge von Welle-auf-Sand-Variationen in PostergröÃe angefertigt haben für zuhause. Die Tante hielt sich anfangs zurück, fand die meisten meiner Fotos bestenfalls »harmlos«, zeigte sich aber froh, dass ich etwas für mich gefunden hatte.
Ich sagte: »Jodeldiplom«, die Tante antwortete: »Keine Verluste sind eine schwarze Null, fast schon ein Gewinn.«
Erst als sich die Bilder einzuschleichen begannen, die nicht mehr in der hübsch -Mappe eingeordnet werden konnten, fing Ruth an, sich ernsthaft dafür zu interessieren, was ich neuerdings mitbrachte, wenn ich lange drauÃen herumgewandert war. Mit der Müllserie und den Ansichten eines halbverwesten Fischkopfs verlor ich dann zwar meine Wartezimmertauglichkeit, bekam aber Ruth auf meine Seite, und brachte sie das eine oder andere Mal gar zum »Fotos gucken« mit mir vor den Bildschirm.
»Zeig mal her«, sagte sie und schaute lange hin.
»So einen harten Blick hätte ich dir gar nicht zugetraut.« Elisabeth war der Meinung, der Doc sollte mal sein medizinisches Auge auf meine neuen Arbeiten werfen, die wären zum Fürchten deprimierend, aber die Tante fuhr sie heftig an, sie wollte nichts hören von überinterpretierendem Psychogequatsche, und ermunterte mich, dieses »nekrophil anmutende Zeugs« weiter ins Bild zu bringen.
»Es ist nicht nekrophil!«
»Was auch immer es ist, du solltest nicht damit aufhören. Es schaut übel, aber kräftig aus, daraus kann was werden.«
»Ist das ein Lob, Tante?«
»Das ist ein Lob, Nichte!«
»Jetzt ermuntere sie auch noch!«
Und schon hatten sich die beiden wieder in der Wolle.
Â
Mitte September stand plötzlich Frank in der Kajüte, verlangte einen Kaffee und sagte mit Blick auf die Espressomaschine: »Kaum ist man weg, schon macht ihr auf moderne Zeiten.«
Ruth baute sich mit verschränkten Armen vor ihm auf und sagte: »Was machst du hier?«
»Ich bin der Bewohner der Hütte nebenan, schon vergessen?«
»Red keine Makulatur! Du bist erst in vier Wochen dran!«
Das Gesicht der Tante straft ihre Worte Lügen, dachte ich und überlegte, ob das ein Zitat war.
»Ja, wen haben wir denn daaa?«
Elisabeth kam aus der Küche gestürzt, hinter ihr Olga, die Frank ein strahlendes Lächeln zuwarf, was mich fast mehr schockierte als die Tatsache, dass er die Tante jetzt in seine Arme zog, sie in einer Weise an sich drückte und herumschwang, wie ich es nie gewagt hätte.
»Wie gehtâs dir, alte Eule?«
»Du weiÃt: Unkraut und so weiter.«
Allgemeines Gelächter, selbst Olga lachte mit, obwohl sie vermutlich nicht wusste, worüber genau. Sergej boxte Frank in die Seite, Ania fiel ihm mit einem spitzen Schrei um den Hals: »Stinkst nach Schaf!« Sogar Heinrich hatte ein paar freundliche Worte für ihn übrig. Ich schaute der allgemeinen Begrü-Ãungsheiterkeit eine Zeit lang zu und dachte:
Weitere Kostenlose Bücher