Das Meer in seinen Augen (German Edition)
keine Ahnung hatten, wer sich hier aufgehalten hatte.
»Aber - du meinst nicht mich, oder?«, fragte er mit unschuldigem Blick. »Ich hab mir vorhin was zu trinken ...«
»Nein, nicht vorhin, jetzt gerade!«
»Vielleicht hast du dir das auch nur ...«, versuchte Ansgar seine Frau zu beschwichtigen.
»Nein, habe ich nicht!«, fauchte Hanne und stürmte an ihnen vorbei ins Schlafzimmer. Wütend knallte sie die Tür hinter sich zu. Sein Vater sah einen Moment betreten hinterher. Dann richtete er seine Augen auf David.
»Sag demnächst einfach Bescheid, wenn du ein Mädchen da hast, okay?«, murmelte er und nickte kurz. Dann ging auch er.
David stand noch lange auf dem Flur und starrte sprachlos die Schlafzimmertür seiner Eltern an. Er hörte sie diskutieren. Irgendwie schaffte es sein Vater, die Situation langsam wieder unter Kontrolle zu bringen.
»... wenn du ein Mädchen da hast ...«, hallte es in seinem Kopf nach. Irgendwie schockte ihn die Tatsache, dass ausgerechnet sein Vater wusste, was in etwa gelaufen war. Er verhielt sich immer so ruhig, blieb immer im Hintergrund. Aber er bekam offenbar mehr mit, als man ihm zutraute.
Langsam drehte sich David um und ging ins Zimmer zurück. Eine Weile schaute er aus dem Fenster und beobachtete das Haus gegenüber. Doch da tat sich nichts. Merlin war einfach so verschwunden. Er ließ sich schließlich wieder aufs Bett fallen. Unglaublich! Sein Vater wusste es! Er hatte es ihm tatsächlich angesehen. Aber er glaubte natürlich, dass David ein Mädchen hier gehabt hatte. Oder doch nicht? Vielleicht hatte er das ja nur so gesagt, um ihn nicht vollkommen aus den Latschen zu schubsen. Wenn er schon wusste, dass er jetzt keine Jungfrau mehr war - zumindest keine richtige - war es doch auch möglich ... Nein, David verdrängte diese Gedanken. Sein Vater konnte ihm auch vorerst egal sein. Die entscheidende Frage war doch, warum Merlin geflüchtet war. Und vor allem: Wo war er hin? Nach und nach spürte er, wie sich ihm eine Beklemmung auf die Brust legte und das Atmen erschwerte. War Merlin etwa zu Paolo rüber?
David stand auf, um seine Hose auszuziehen. Drüben war immer noch alles ruhig. Also legte er sich wieder richtig ins Bett und drückte sein Gesicht ins Kissen, um noch etwas von Merlins Geruch in sich aufzunehmen. Er hatte mit ihm Sex gehabt!
Eine Weile versuchte er, noch mal einzuschlafen, gab aber schließlich auf. Die Gedanken an Merlin hinderten ihn. Er machte sich Sorgen. Wenn Merlin tatsächlich nur zu sich rüber wollte, um die Gefahr einer Entdeckung zu mindern, warum war er dann jetzt nicht drüben in seinem eigenen Zimmer? Irgendwann zählte David eins und eins zusammen: Natürlich wäre es äußerst unklug gewesen, gleich nach drüben zu laufen. Seine Mutter hätte ihn ganz sicher gesehen. Also lief er jetzt draußen herum, bis die Luft wieder rein war.
David sprang aus dem Bett und zog sich an. Warum war er nicht schon früher darauf gekommen? Sein Herz klopfte bei dem Gedanken, dass er Merlin gleich schon wiedersehen konnte. Er wusste auch schon genau, wo er ihn finden würde. Er stürmte los. Als er unten war, rief seine Mutter hinter ihm her:
»David?«
Er antwortete nicht.
»Wo willst du denn hin, David?«
»Ich geh ein wenig raus«, antwortete er schließlich und machte sich davon. Er war sich absolut im Klaren darüber, dass seine Mutter jetzt aus dem Fenster sah, um zu kontrollieren, wo er hinging. Also entschied er sich, die Straße hinunter zur Hauptstraße zu gehen. Kaum wähnte er sich außer Sichtweite, begann er zu Laufen. Natürlich vermutete er Merlin auf ihrer gemeinsamen Bank im Park. Aber die Gefahr, dass seine Mutter ihm aus Neugier folgte, wollte er auf jeden Fall ausschließen.
Fünf Minuten später betrat er über die nächste Seitenstraße den Parkabschnitt. Enttäuscht blieb er stehen. Schon von Weitem sah er, dass die Bank leer war. Hatte Merlin etwa schon auf ihn gewartet? War er bereits enttäuscht weitergezogen? Missmutig stapfte David über die Wiese auf die Bank zu und setzte sich. Vielleicht würde Merlin ja noch mal zurückkommen. Dann könnten sie über alles reden. Überrascht bemerkte David, dass er wirklich gern mit Merlin reden wollte. Es war einfach schön, jemanden zu haben, dem er vertrauen konnte, der ihm die Wahrheit sagte, auch wenn es ihm selbst schwer fiel und der ihn verstand und ernst nahm. Gestern Abend hatte David es Merlin kurzfristig übel genommen, dass er ihm nicht gesagt hatte, dass dieser
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