Das Meer in seinen Augen (German Edition)
unbenannte Liebhaber in Wahrheit Paolo war. Aber dann hatte er sich sein eigenes Versteckspiel vor Augen gerufen. Er konnte nicht erwarten, dass Merlin ihm gleich auf die Nase band, dass er mit dem Freund seiner Mutter ein Verhältnis hatte. Im Grunde konnte David sich glücklich schätzen, dass Merlin ihm überhaupt so viel anvertraute. Vielleicht war das der Grund, weshalb er abgehauen war. Er musste sich seiner Gefühle auch selbst erst mal klar werden - genau wie David.
Allmählich legte sich die Anspannung und er wurde ruhiger. Schließlich lehnte er sich entspannt zurück und genoss die Morgenluft. In Gedanken hing er der wunderbaren Tatsache nach, dass er einen Menschen hatte, mit dem er seine Gefühle teilen konnte. Als die ersten Sonnenstrahlen durch die Baumkronen brachen, waren all die dunklen Gedanken verschwunden und er fühlte sich einfach nur glücklich.
53
Merlin hatte sich gerade auf sein Bett fallen lassen, als die Tür auch schon wieder aufging und seine Mutter hereinkam.
»Ma!«, sagte er genervt.
Im Morgenmantel und verschlafenem Gesicht stand sie vor ihm. »Dir auch einen schönen Guten Morgen«, sagte sie und grinste.
»Ma, ich will meine Ruhe haben, okay? Ich hab kaum geschlafen und irgendwie ist mir nicht nach ...«
»Später, Lin, jetzt musst du mir erst mal erzählen, wie es war!« Ihr Gesicht war plötzlich zu euphorischer Neugier erwacht. Schwungvoll ließ sie sich zu ihm aufs Bett fallen und sah ihn auffordernd an. »Na los, lass mich nicht lang auf die Neuigkeiten warten. Oder muss ich rüber und ihn fragen?« Sie lachte. »Du weißt, ich mach das!«
»Das würdest du nicht machen, obwohl es dir echt zuzutrauen wär.« Merlin gab sich geschlagen. »Es war sehr schön, aber auch sehr anstrengend und irgendwie - ich weiß nicht.« Was sollte er ihr auch sagen? Dass er sich die ganze Zeit Gedanken darüber machen musste, dass er mit Paolo schlief und David eigentlich hinterging, wenn er es ihm nicht vorher sagte?
»Du hast dir zu viele Gedanken gemacht«, seufzte Selma. »Warum kannst du dich nicht einfach mal auf etwas einlassen, ohne gleich alles analysieren zu müssen?«
»Ich glaube nicht, dass das so eine einfache - Sache ist, über die man sich absolut keine Gedanken machen muss, Ma!«
»Warum nicht?«, fragte sie und sah ihn mit gerunzelter Stirn an. »Ihr seid beide jung, ihr steht offensichtlich aufeinander, ihr seid nicht anderweitig gebunden. Warum lasst ihr es nicht einfach drauf ankommen? Irgendwann muss jeder von euch seine Erfahrungen machen, also macht sie zusammen.«
Merlin schluckte. Wie immer hatte seine Mutter vollkommen recht - wenn man voraussetzte, dass es sich hier um zwei ganz normale Jungs handelte. Sie konnte ja nicht wissen, dass die Grundsituation alles andere als unproblematisch war.
»Lin, jetzt sag mir bitte nicht, dass ihr diesen beschissenen Film wirklich angeschaut habt!«
Merlin lachte. »Nein, natürlich nicht. Der war mal sowas von bombensicher.«
»Gut.« Sie nickte und grinste breit. »Also habt ihr euch doch miteinander beschäftigt.«
»Ja«, gab Merlin zu. »Aber wir haben vielmehr miteinander geredet und dann ein wenig gekuschelt.« Natürlich würde er nicht erzählen, dass er einmal kurz davor gewesen war, die Flucht zu ergreifen.
»Mensch, dir muss man aber auch alles aus der Nase ziehen!« Sie erhob sich und warf theatralisch die Arme in die Luft. »Was habe ich da nur für ein Kind herangezüchtet?«
»Der liebe Gott wird dir wohl kaum sagen, was dein Sohn gestern Nacht getrieben hat«, sagte Merlin nüchtern.
Seine Mutter sah ihn gespielt schockiert an. »Also habt ihr die Kondome benutzt!« Sie hielt sich eine Hand vor den Mund und riss die Augen auf, dass Merlin schon fast Angst bekam, sie könnten einfach so aus dem Kopf fallen.
»Nein«, sagte er schnell.
»Aber du hast sie mitgenommen!«, rief seine Mutter.
Merlin nickte. »Natürlich, ich wollte ja nicht, dass du rüberkommst und sie vorbeibringst.«
»Und es ist nichts passiert?«
»Na ja, so gut wie nichts«, antwortete Merlin. »Ich hab dir doch gesagt, dass wir eigentlich nur geredet und gekuschelt haben. War auch sehr schön.«
Selma nickte. Ihr Gesicht hatte wieder ernste Züge angenommen. »Recht hast du«, sagte sie. »Manchmal ist es einfach nur schön, wenn man jemandem nah sein kann.«
Merlin schluckte. Er konnte nicht anders, als diese Aussage seiner Mutter auf Paolo zu beziehen. Offenbar lief es bei den beiden alles andere als gut. Und er war
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