Das Meer in seinen Augen (German Edition)
er leise. Seine Stimme klang brüchig.
»Sicher kann man sich nie sein.« Sie wischte sich über die Augen und grinste ihn wieder an. »Aber ich täusche mich nur sehr selten. Und das auch nur, wenn es um meine eigenen Partner geht.« Sie zwinkerte ihm zu, aber ihre Augen verrieten, dass sie es ernst meinte. Dann stand sie auf. »Du siehst müde aus.«
»Ja, aber ich habe eigentlich genug geschlafen.«
»Das weiß dein Körper am Besten - oder dein Geist.« Sie hielt einen Moment inne, dann fragte sie: »Glaubst du, deine Eltern werden damit klarkommen?«
David zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht«, sagte er matt.
»Du hast mir jetzt gar nichts erzählt«, stellte Selma fest.
»Ja.« Er zog seine Mundwinkel zu einem Lächeln auseinander. Aber im Grunde fühlte er sich nicht danach. »Ich - ich habe es nicht - freiwillig gesagt.«
Selma nickte. »Das habe ich mir gedacht.«
»Weil ich ein Schwächling bin?«
»Nein.« Sie lachte. »Weil du hier Asyl suchst. Wenn du dich richtig vorbereitet hättest, wärst du sicher nicht so überstürzt davongelaufen.«
»Ich hab's echt verbockt«, gestand David. »Eigentlich habe ich mir gedacht, dass ich es ihnen ganz normal sagen könnte. Aber - die sind komplett durchgeknallt.« Erstaunt registrierte er die Wut in seiner Stimme.
Selma sah ihn fragend an.
»Meine Mutter ist vollkommen verrückt«, erklärte David. »Sie hat ein Kondom von Merlin gefunden und ...«
»Ach«, machte Selma und grinste verschmitzt. »Ich dachte, ihr hättet noch nicht.«
David wurde rot. »Haben wir auch nicht«, sagte er schnell, schwenkte wieder um und erzählte die Geschichte.
Am Ende sah Selma ihn mit kreisrunden Augen an. »Sie hat wirklich geglaubt, dass wir zwei ...« Sie zeigte auf ihn und dann auf sich und lachte los.
»Ich sag doch, dass meine Eltern voll daneben sind«, bestätigte David und legte sich wieder zurück. »Und solchen Menschen muss ich erklären, dass ich schwul bin!«
»Ich kann dazu nichts mehr sagen.« Selma schüttelte den Kopf. »Nicht heute.« Sie ging zur Tür und wollte gerade das Zimmer verlassen, als David sie zurück hielt.
»Selma?«
Sie drehte sich noch mal zu ihm um.
»Das Schlimmste ist, ich habe es ihnen nicht mal wirklich gesagt. Ich habe nicht mal geschafft, es auszusprechen.«
71
Draußen fing es bereits an zu dämmern. Merlin sah auf die Uhr und seufzte. Ja, er würde langsam los müssen.
»Und du bist dir sicher, dass du nicht noch bleiben willst?«, fragte Christian.
Merlin wurde das Gefühl nicht los, dass Christian ihn noch hier dabehalten wollte. Aber der Drang, endlich wieder nach Hause zu kommen und David zu sehen, wurde immer größer.
»Ja«, sagte er. »Ich muss mich der Sache endlich stellen.«
Christian machte ein zweifelndes Gesicht. »Wirst du das?«
Merlin sah zu Boden. Schließlich machte er die Augen ganz zu. Genau darin lag sein Problem. Er bezweifelte selbst, dass er die Kraft haben würde, seiner Mutter die Wahrheit zu sagen. Letztlich hatte Christian wahrscheinlich recht und es war besser, wenn er gleich hier bei ihm blieb. Doch wie sollte er das dann seiner Mutter erklären, und David? Ganz davon abgesehen, dass Paolo diesen Schritt sicher nicht gelten lassen würde.
»Ich weiß es nicht«, gab Merlin schließlich zu. »Aber ich werde es versuchen. Ich muss.«
»Okay.« Christian sah ihn traurig an. »Also - ich sag es mal so - du kannst jederzeit herkommen.«
»Danke.« Merlin freute sich wirklich über das Angebot, aber er wusste schon jetzt, dass er es niemals annehmen würde. Wenn alles schiefging, musste er sehen, wie er mit der Sache klarkam. Oder würde er vielleicht doch zu Christian ziehen? Nein, das konnte er sich nicht vorstellen. Er dachte an David. Egal was auch passierte, er musste mit David zusammenbleiben.
»Merlin!«
»Ja?« Merlin sah überrascht auf.
»Mensch, du bist ja richtig weggetreten.« Christian lachte. »Wann willst du zurück?«
Merlin schaute wieder aus dem Fenster, dann auf die Uhr. »Es ist schon spät«, sagte er und sah Christian mit einem fragenden Ausdruck an.
»Ja, mache ich«, sagte Christian und hob die Hände. »Kein Problem.«
Merlin atmete erleichtert auf und lächelte dankbar. »Bist ein Schatz«, sagte er, obwohl er diesen Ausspruch hasste. Christian setzte ihn zu oft ein. Aber in Anbetracht der Lage konnte man ruhig mal das ein oder andere Zugeständnis machen.
Christian lachte. »Dann komm!«
Zehn Minuten später saßen sie im Auto unterwegs
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