Das Meer in seinen Augen (German Edition)
Seine Augen waren stur auf David gerichtet. Völlig überrascht spürte Merlin Eifersucht in sich aufsteigen. Was sollte das? Warum tat Paolo David gegenüber plötzlich so vertraulich? In ihm brodelte es. Schnell stand er auf und verließ das Zimmer.
»Merlin?«, fragte David sofort.
»Ich hole mir nur was zu trinken. Soll ich was mitbringen?« Merlin hörte, dass seine Stimme zitterte.
»Nein.«
Er nickte und lief die Treppe hinunter. In der Küche lehnte er sich erst mal gegen die Anrichte und versuchte ruhig und gleichmäßig zu atmen. Paolo führte etwas im Schilde, daran bestand kein Zweifel. Aber weshalb war er selbst plötzlich so wütend auf David? Es gab keinen Grund dafür! David war ja schließlich nicht wirklich auf Paolos Angebot eingestiegen. Zumindest hatte er nicht zugesagt. Das würde er doch nicht machen, nachdem Merlin ihn gewarnt hatte. Aber warum hatte David dann nicht gleich abgelehnt? Doch hoffentlich nur aus Rücksicht auf Paolo. Merlin schluckte. Jeder vernünftige Gedanke in ihm wies auf Paolo. Er war derjenige, der sich zwischen sie stellen wollte. Und dennoch wurde er das Gefühl nicht los, dass David sich trotz seiner Warnung von ihm umgarnen ließ.
Er riss den Kühlschrank auf und nahm sich die Milch heraus. Zu faul, um sich ein Glas zu nehmen, trank er gleich aus der Tüte. Dann hörte er Schritte auf der Treppe. Paolo kam runter. Aber es waren nicht nur seine Schritte. Sofort spürte er wieder Eifersucht aufwallen. Das Schlimmste daran war, dass er sich nicht klar werden konnte, auf wen er jetzt genau eifersüchtig war. Er zitterte. Der Kühlschrank stand immer noch offen und die Kälte schien ihm in die Knochen zu ziehen.
»Ich gehe mal rüber, okay?«, sagte David, der plötzlich in der Küchentür stand.
Merlin konnte nichts sagen. Sein Atem beschleunigte sich und sein Herz klopfte hart in seiner Brust.
»Paolo hat mir gesagt, dass er noch mit dir sprechen will und ich dann heute Abend wiederkommen kann. Außerdem muss ich ja noch mit meinen Eltern reden.« David blinzelte.
Irgendwie wurde Merlin das Gefühl nicht los, dass da nicht sein Freund vor ihm stand, sondern ein ganz anderer Junge. Aber vielleicht bildete er sich das auch nur ein, weil er sich so aufgeregte. Paolo besaß wirklich die Dreistigkeit, David rauszuwerfen! Es war doch unglaublich! Fahrig stellte er die Milch in den Kühlschrank zurück, ließ die Tür aber noch offenstehen.
»Ich - ich will nicht, dass du - gehst«, stammelte er.
David sah ihn ruhig an. Dann presste er die Lippen aufeinander und schüttelte schnell den Kopf.
Langsam wurde Merlin klar, dass sein Herz raste, weil er Angst hatte. Er wusste, was ihm bevorstand, wenn David jetzt rüberging. Um das Gespräch würde er nicht drum herumkommen. Und er hatte sich nicht darauf vorbereitet. Er hatte nichts, was er Paolo entgegensetzen konnte. Seine Gefühle spielten verrückt, weil er sich davor fürchtete, eine weitere Niederlage einstecken zu müssen.
»David«, presste er hervor. »Bitte.«
David sah ihn seltsam leer an. »Ich - ich kann nicht ...« Dann ging er.
Merlin fasste sich an den Hals. Er hatte plötzlich das Gefühl ersticken zu müssen. Durch das Küchenfenster sah er seinem Freund hinterher. Natürlich, dachte er, was erwartete er eigentlich? Wieso sollte David dabei sein, wenn er selbst es doch war, der sich mit Paolo auseinandersetzen musste? Das war eine Sache, die er allein durchzustehen hatte. Trotzdem spürte er die Wut zurückkehren. Wut auf die Situation an sich, auf sich selbst, auf Paolo und auch auf David, der ihn einfach so stehen ließ, ohne sich richtig zu verabschieden. Deshalb war Paolo so freundlich gewesen. Er wollte David möglichst so loswerden, dass er aus eigener Überzeugung ging und sich nicht womöglich zurückhalten ließ. Paolo wollte mit ihm allein sein. Merlin wurde kalt. Wie in Trance schloss er den Kühlschrank.
80
David fühlte sich schwindlig, als er sein Elternhaus betrat. Er blieb stehen und hielt sich einen Moment an der offenen Wohnungstür fest. In seinem Rücken spürte er Merlins Blick, aber er konnte ihn nicht richtig einordnen. Dumpf hatte er den Verdacht, dass Merlin sauer auf ihn war, aber er verstand nicht, wieso. Dann klingelte ihm plötzlich die Stimme seiner Mutter im Ohr.
»David!«
Er zuckte zusammen.
»Wo warst du so lange?«, fragte sie und sah ihn scharf an.
»Ich - ich war noch bei Merlin«, antwortete David und gab sich Mühe, ihrem Blick standzuhalten.
»Aha.«
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