Das Meer in seinen Augen (German Edition)
er sich von seiner Mutter zur Tür begleiten, während sein Vater sich von ihnen verabschiedete und zur Arbeit fuhr. Dass er extra seine Arbeit hinten angestellt hatte, um ihn vom Krankenhaus abzuholen, erschien David irgendwie unverhältnismäßig. Überhaupt war er der Meinung, dass er erst gar nicht über Nacht hätte im Krankenhaus bleiben müssen. Wahrscheinlich hatte da aber letztlich seine Mutter mit ihrer Panikmache entschieden. Immer wieder hatte sie von möglichen inneren Verletzungen erzählt und dass er auf jeden Fall noch nicht nach Hause konnte. In der Tat schien sein Schädel aber noch immer in Mitleidenschaft gezogen. Ab und an stach ein hinterhältiger Schmerz durch seinen Kopf. Das dumpfe Drücken war aber mittlerweile erträglich geworden.
Seine Mutter schloss die Haustür auf. »Soll ich etwas Bestimmtes kochen?«, fragte sie, ohne ihn dabei loszulassen.
»Nein.« David schlich hinter ihr ins Haus. »Ich glaube, ich lege mich gleich wieder hin.« Das musste ihr doch gefallen, oder? »Die wecken einen ziemlich früh.«
Sie nickte. »Mach das.« Im ersten Moment schien es, als wollte sie ihn allein gehen lassen, doch dann nahm sie wieder seinen Arm und ging hinter ihm die Treppe hoch.
»Mam«, fing David an, »es geht wirklich. Ich hab nur Kopfschmerzen, die Beine sind okay.«
»Und was, wenn du das Gleichgewicht verlierst?«, fragte sie sofort. »Es ist besser, wenn ich dir helfe, bevor du am Ende aus falscher Scham noch auf den Kopf fällst.«
David gab es auf. Aber sie hatte recht, es war ihm wirklich unangenehm, so bemuttert zu werden. Erst recht, nachdem er ihnen gesagt hatte, dass er in einen Jungen verliebt war. Natülich war das ein wenig weit hergeholt, aber plötzlich kam es ihm so vor, als stünde ihm genau deswegen keine Hilfe mehr zu. Als er sich langsam auf sein Bett setzte und sie ihm die Schuhe auszog, versuchte er diese Gedanken zu vertreiben. Doch die Tatsache, dass sie an seinen Füßen herumnestelte, brachte ihn noch mehr zu der Überzeugung, dass er sich für diese Zuwendung schämen musste. Er hatte sich durch seine Offenbarung von seinen Eltern entfernt. In letzter Konsequenz musste das doch bedeuten, dass er von nun an auf ihre Unterstützung verzichten musste, oder nicht? Es kam ihm auf jeden Fall falsch vor, als Schwuler von seiner Mutter ins Bett gebracht zu werden, und er war froh, als er endlich lag.
Sie sah ihn einen Augenblick abschätzend an. »Willst du dich nicht ausziehen?«, fragte sie.
»Nein«, sagte David schnell. »Ich ruh mich nur ein wenig aus.«
Unschlüssig blieb sie stehen. Dann räusperte sie sich. »Das gestern ...« Sie sprach nicht weiter.
David schloss die Augen. Er wollte jetzt absolut nicht mit seiner Mutter über Merlin reden und war nicht bereit, ihr da zu einem geeigneten Einstieg zu verhelfen. Er wartete einfach und hoffte, dass sie nicht die passenden Worte finden würde und ihn allein ließ.
»Was war das?«, fragte sie aber nach einer Weile.
David schwieg. Ja, was war das? Natürlich hatte er sich schon im Krankenhaus eine Menge Gedanken darüber gemacht und war immer wieder zu dem bitteren Ergebnis gekommen, dass er Merlin einfach nicht reichte. Er war nicht ausreichend, weil er nicht mit ihm schlief. Aber konnte man das überhaupt erwarten? Ab wann musste man denn mit jemanden ins Bett gehen? Da gab es doch sicher so eine Art Regel. Und, das tat besonders weh, Merlin hatte versprochen, dass er warten würde. Wie ernst konnte er ihre Beziehung jetzt noch nehmen? Natürlich hatte er sich auf eine Geschichte eingelassen, die schon zu Beginn mehr als nur merkwürdig gewesen war. Eigentlich hätte er es wissen müssen. Aber er hatte Merlin vertraut.
»Ich weiß es nicht«, sagte er schließlich. Er wusste, dass seine Mutter immer noch unbewegt vor seinem Bett stand und ihn betrachtete. Er kniff die Augenlieder fester aufeinander und biss die Zähne zusammen. Dann spürte er, wie sich die Matratze an seinen Beinen nach unten senkte. Sie setzte sich tatsächlich zu ihm. Plötzlich verfluchte er sich dafür, dass er ihr auf die Frage geantwortet hatte. Hätte er nicht einfach warten können, bis sie wieder ging? Zu seinem eh schon schlechten Gewissen gesellte sich augenblicklich noch der Gedanke, dass seine Mutter, die gegen sein Schwulsein war, sich nun mit ihm über die Probleme seiner schwulen Beziehung unterhalten wollte. Wenn das nicht mal ein bisschen viel wurde, dachte er. Warum drehte sich überhaupt alles nur noch um
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