Das Meer in seinen Augen (German Edition)
Selma. Schon fast demonstrativ legte er den Arm um sie. David spürte, wie es ihm gleich die Sprache verschlug. Er wusste, dass er in Paolos Anwesenheit nichts würde sagen können.
»Hast du schon mit deinen Eltern gesprochen?«, wollte Paolo von ihm wissen.
David schluckte. »Ja«, krächzte er.
Paolo nickte.
»Was soll das heißen?«, fragte Selma.
»David wird bei mir als Aushilfe anfangen.« Paolo lächelte. David lief es bei diesem Anblick kalt den Rücken hinunter.
Selma sah ihn fragend an. »Und was haben sie gesagt?«
»Mein - mein Vater will, dass ich bei Elco arbeite«, presste David hervor.
Selma nickte anerkennend.
»Siehst du, Schatz, alles halb so wild«, sagte Paolo und zwinkerte David dabei zu. Dann richtete er sich ganz an ihn: »Wann wolltest du eigentlich vorbeischauen?«
»Ich dachte heute. Das war doch so verabredet«, sagte David und ärgerte sich über das Wackeln in seiner Stimme.
»Natürlich, aber um wieviel Uhr«, lachte Paolo. »Ich muss ja wissen, wann ich mich auf den Weg machen muss.« Mit einem Mal wirkte er angespannt.
»Hattest du dir nicht heute für mich freigenommen?«, fragte Selma spitz.
»Klar, aber wie du ja siehst, kann der Junge es gar nicht erwarten, bei mir anzufangen.« Paolo richtete sich wieder an David. »Was hältst du davon, wenn wir jetzt gleich fahren und ich dir ein wenig die Frima zeige? Und wenn dein Vater einen Moment Zeit hat, können wir auch sofort das mit dem Vertrag regeln.«
David nickte zögerlich.
99
Selma beobachtete Davids Gesicht. Irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass der Junge jetzt gerade absolut nicht mit Paolo ins Büro wollte. Er war wegen etwas ganz anderem hier. Aber weshalb, das konnte er ihr jetzt nicht mehr mitteilen, weil Paolo dazwischenfunkte. Wahrscheinlich hatte er sich auch zu sehr von ihrem Auge ablenken lassen. Für einen Moment dachte Selma wieder an das wütende Gesicht ihres Freundes. So hatte sie ihn noch nie erlebt. Ja, natürlich hatte er sie geschlagen, ihre Ausrede entsprach diesbezüglich vollkommen dem Standard. Aber was sollte sie auch sagen? Dass sie sich in ihrem Alter noch von einem Machotyp schlagen ließ? Das Schlimmste daran war: Irgendwie konnte sie es verstehen. Sie hatte versucht, ihn von sich zu stoßen, indem sie ein paar Gemeinheiten losgelassen hatte. Natürlich waren ihr schon oft schlechte Dinge widerfahren, aber noch nie hatte sie die Achtung vor sich selbst verloren. Noch nie hatte sie so sehr das Gefühl gehabt, etwas vollkommen Falsches zu empfinden. Sie liebte Paolo noch immer. Damit war sie zu einer jener Frauen geworden, über die sie bislang immer verständnislos den Kopf geschüttelt hatte. Ja, sie wollte hier weg, sie wollte ausziehen und diesen Kerl für immer zurücklassen. Aber sie konnte nicht. Das war ihr heute bewusst geworden. Sie konnte ihn einfach nicht verlassen. Sie hatte genug davon, immer wieder ein neues Leben beginnen zu müssen und am Ende vielleicht keines gelebt zu haben. Aber war das überhaupt noch ein Leben? Ihre Hand befühlte automatisch die Schwellung an ihrer Schläfe. Nein, sie war nicht besser als diese Weiber, die sie immer verachtet hatte, weil sie so mit sich herumspringen ließen und nicht die Kraft aufbrachten, sich endlich mal zur Wehr zu setzen.
»Selma?«, fragte David plötzlich und riss sie aus ihren Gedanken.
»Entschuldige«, sagte sie aufgeschreckt, »ich war gerade nicht ganz da.« Irritiert sah sie zu David auf, der vor ihr stand.
Auch Paolo war bereits aufgestanden und lächelte dümmlich. »Kann ja mal passieren.«
Selma beachtete ihn erst gar nicht. Ihr Blick wurde von David aufgefangen. Er wollte ihr irgendwas sagen, durchfuhr es sie wieder. Und dazu Paolos Verhalten, als wenn er den Jungen daran hindern wollte.
»Willst du nicht nachher noch mal rüberkommen?«, fragte sie schnell. »Wir könnten zusammen - was kochen.«
Paolo zog die Augenbraue hoch.
»Er kocht gern«, erklärte Selma sofort und hoffte, dass David ihre Ausflüchte verstand und mitspielte.
»Klar, gern.« David grinste.
»Ist ja toll«, sagte Paolo. »Können wir jetzt?«
»Wann kommt ihr denn zurück?«, fragte Selma mit betont beiläufiger Stimme.
Paolo hielt inne. »Bei mir wird's wohl wie immer. Du weißt ja, wenn ich einmal da bin ...« Dann drehte er sich um und ging in den Flur.
»Ach so.« Selma zwinkerte David zu. Augenblicklich schmerzte die Schwellung an ihrer Schläfe wieder. David runzelte die Stirn.
»Du solltest es weiter
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