Das Meer in seinen Augen (German Edition)
wünschte sich, dass Merlin einfach nur litt.
Er blieb einen Moment stehen.
»David?«, rief seine Mutter aus dem Wohnzimmer. Sie hatte wohl die Treppe gehört und wollte jetzt wissen, was los war. Aber er wollte nicht antworten. Also drehte sich um und schlich wieder in sein Zimmer zurück.
Donnerstag
Seine Fänge
Er nimmt dich
Mir fort
Mit seinen Fängen
Betört dich
Wie einst mich
Mit Trieben
Mit Drängen
Doch lieben
Wird er dich
Nicht
M. Nagy
108
Der Himmel zeigte sich strahlend blau. Nicht eine Wolke war zu sehen. David machte die Augen noch mal zu und blieb einfach liegen, obwohl sein Wecker schon zwei mal geklingelt hatte. Wollte er heute wirklich schon zur Schule? Seine Mutter würde es sicher verstehen, wenn er diese Woche ganz zu Hause blieb. Allerdings musste er sich dann irgendwann ihrem fragenden Gesicht stellen. Und Fragen hatte sie immer - jetzt wohl mehr denn je.
Das helle Licht von draußen drang rot durch seine Lieder. An Schlaf jedenfalls war nicht mehr zu denken, dafür hätte er gestern das Rollo noch herunterlassen müssen. Ob Merlin wohl irgendwann nach Hause gekommen war? David erinnerte sich an seine Gefühle von gestern Abend. Er versuchte die Erinnerung daran zu verdrängen, doch die Gedanken kamen immer wieder hoch. Also richtete er sich irgendwann auf und zog sich an. Es konnte nicht schaden, wenn er heute trotz seiner Krankschreibung zur Schule ging. Er musste es ja nicht übertreiben. Außerdem würde er dann Merlin sehen und ... David hielt inne. Was und? Was wollte er ihm sagen? Gab es überhaupt noch etwas, das er Merlin sagen konnte? Wollte Merlin überhaupt noch, dass er ihm etwas erklärte oder dass sie in irgendeiner Weise Kontakt hatten? Die Geschichte von gestern erschien David plötzlich so weit weg, dass er schon fast daran zweifelte, dass sie überhaupt geschehen war.
David drängte die Zweifel beiseite. Er würde in die Schule gehen, fertig. Dann konnte er immer noch weitersehen. Aber er musste wissen, wie es Merlin ging, wollte ihn fragen, was er gestern gemacht hatte, wollte ihm nachträglich anbieten, ihm zu helfen und vielleicht sogar darum bitten, dennoch sein Freund sein zu dürfen. Es konnte doch nicht so schwierig sein, dass sie nach all dem, was sie in den letzten zwei Wochen für Veränderungen durchlebt hatten, nicht zusammenfanden. Sicher, das Leben war kein Liebesfilm, aber ganz so übel konnte die Realität doch auch nicht aussehen. Sie war nur bedeutend komplizierter.
Als David zwanzig Minuten später die Treppe hinunterging, wartete seine Mutter bereits mit einem gigantischen Frühstück auf ihn.
»Guten Morgen«, flötete sie. »Ich hoffe du hast Hunger.« Dann sah sie ihn mit großen Augen an. »Du bist schon angezogen?«
»Ich gehe zur Schule«, sagte David knapp.
»Aber der Arzt hat doch gesagt ...«
»... dass ich zur Schule kann, sobald ich mich wieder fit fühle.«
Seine Mutter machte ein ernstes Gesicht. »Ich dachte, wir könnten uns mal in Ruhe über den gestrigen Vorfall unterhalten.«
David wusste, dass sie das Frühstück aus zwei Gründen gemacht hatte. Sie wollte ihm erstens das Gefühl geben, dass hier in diesem Haus alles richtig lief, dass man hier zusammenhielt und er hier zu Hause war, auch wenn sie über ein paar unangenehme Dinge sprechen mussten. Und zweitens sollte er wohl ihre Mühe als eine Art Belohnung dafür ansehen, dass er sich gegen Merlin und seine Mutter gestellt hatte. Sie dachte wohl immer noch, dass er damit einen entgültigen Bruch vollzogen hatte. Oder hatte er das tatsächlich und wusste es selbst nur noch nicht so richtig?
»David?« Sie sah ihn mit hochgezogenen Brauen an.
David verwarf seinen Gedanken. »Ich - ich will mich gerade nicht unterhalten, okay?«
»Gut«, sagte sie und lächelte, was David vollkommen aus der Bahn warf. »Dann iss aber wenigstens etwas.«
»Mam, ich ...«
»Oder nimm was mit. Das soll mir gleich sein.«
David kniff die Augen zusammen. Was war denn jetzt auf einmal los? Irgendwas stimmte nicht. Seine Mutter würde doch niemals einfach so hinnehmen, wenn er sich gegen sie entschieden hatte.
»Mam? Was ist los?«, fragte er.
»Was soll los sein?« Sie lächelte ihn an.
»Du bis so - seltsam.«
Sie schob die Stirn in Falten. »Wenn du meinst, dass du dich vor dem Gespräch drücken kannst, dann hast du dich geschnitten. Aber dein Vater hat vielleicht recht, es muss nicht immer alles nach meinem Tempo gehen. Wir werden uns irgendwann die Tage
Weitere Kostenlose Bücher