Das Meer in seinen Augen (German Edition)
Paolo hatte offensichtlich nicht vor, ihm seine Privatsphäre zu gönnen. Also schnappte David seinen Slip, ließ das Laken fallen und zog sich hastig an. Erst als er komplett bekleidet war, sah er wieder zur Tür. Seine Kehrseite klebte feucht an der Unterhose. David zog den Stoff zurecht, nur um festzustellen, dass das eklige Gefühl sich nicht vertreiben ließ. Amüsiert grinste Paolo ihm zu. David empfand plötzlich nur noch Abscheu für diesen Mann.
»Der Spaß kostet dich was«, sagte er hasserfüllt.
Paolo lachte auf.
»Ich an deiner Stelle fänd das ja gar nicht so lustig.«
»Es ist nicht mein Geld«, sagte Paolo leichtfertig. »Und die Wahrscheinlichkeit, dass dein Vater überhaupt was davon sieht, ist eher gering.« Paolo zwinkerte ihm zu. »Er hat verloren.«
David spürte, wie die Wut in seinem Körper gegen die Wände lief. Am liebsten hätte er Paolo gleich hier und jetzt angefallen. Aber er hielt sich zurück. Er dachte an Merlin und seine nutzlose Attacke. Paolo war stark.
»Wir verklagen dich trotzdem«, sagte David hilflos und ging auf die Tür zu. Er musste unbedingt hier weg.
»Ach ja?«, fragte Paolo und verstellte ihm den Weg.
»Lass mich durch«, fauchte David und war selbst überrascht, dass seine Stimme so bedrohlich klang. »Lass mich durch oder ich bring dich um!«
»Ich liebe es«, sagte Paolo mit einem breiten Lächeln, »wenn ich den Menschen ein wenig ihrer innersten Gefühle entlocken kann.« Er gab den Weg frei.
David sah ihn verdutzt an. Er konnte nicht recht fassen, dass er die Drohung tatsächlich ausgesprochen hatte. Dann riss er sich endlich zusammen und ging zur Treppe. Paolo kam ihm schlendernd nach.
»Du kannst ruhig hier bleiben«, sagte David kalt, »wir finden schon raus.« Unten wartete sein Vater und sah ihn säuerlich an.
Paolo lachte. »Ansgar, was machst du denn für ein Gesicht?«
»Das geht dich einen Scheißdreck an«, sagte Ansgar.
David dachte plötzlich daran, dass sein Vater ja immer noch mit Paolo zusammenarbeiten musste. Er schluckte. Wenn man es so sah, konnte man schon fast sagen, dass er mit dieser ganzen Aktion den Arbeitsplatz seines Vaters gefährdete.
»Keine Angst, Kleiner«, sagte Paolo plötzlich an David gerichtet, »ich werde deinen Vater nicht feuern.« Er grinste.
David wurde rot.
»Und wenn doch, dann könnt ihr ja immer noch von dem kleinen Vatrag leben, von dem du meinst, ich hätte ihn gebrochen.«
»David, komm jetzt«, sagte Ansgar.
Aber David konnte sich nicht rühren.
»Du musst Verträge gründlich lesen, Kleiner«, sagte Paolo und fletschte die Zähne zu einem enormen Lächeln. »Nicht wahr, Ansgar?«
David sah hilflos zwischen Paolo und seinem Vater hin und her. In Paolos Augen funkelte es schelmisch. Für ihn war das alles eine Art Spiel, mehr nicht. Aber sein Vater wurde wieder dunkel im Gesicht.
»Los David«, sagte er nur.
Mühsam setzte David einen Fuß vor. Er konnte sich nicht erklären, weshalb es ihm plötzlich so schwerfiel, das Haus zu verlassen.
»Ansgar, dein Sohn ist im Bett - na ja, wie soll ich es sagen - nicht gerade die Granate.«
Sein Vater drehte sich noch mal um. In seinen Augen stand der Hass. Dann sah er ihn an. Der stumme Vorwurf und der Ausdruck des Verletztseins nahmen David die Luft zum Atmen.
»Komm endlich! Mit diesem Mann sind wir fertig«, raunter er.
Aber David sah die Lüge in den Augen seines Vaters. Der Kampf war noch lange nicht vorbei. Und da trat Paolo plötzlich vor und küsste seinen Vater mitten auf den Mund.
125
Selma trat mitten auf der Autobahn auf die Bremse. Der Wagen hinter ihnen konnte gerade noch ausweichen und bretterte hupend an ihnen vorbei.
»Ma!«, schrie Merlin auf.
Selma zog den Wagen nach rechts. Hilflos sah Merlin, wie sie geradewegs auf den Beginn der Leitplanke nach der Ausfahrt zufuhren. Noch immer bremste Selma kräftig ab. Wieder wichen Autos im letzten Moment aus.
»Was machst du?«, kreischte Merlin. Die rotweißen Pfeile, die die Leitplanke markierten, rasten auf sie zu.
»Selma!« Merlin zog die Beine an und machte sich für den Aufprall bereit. Doch er blieb aus. Um ein paar Zentimeter verfehlten sie die Spitze und schlitterten in die Kurve der Ausfahrt. Dann hatte Selma den Wagen wieder ganz unter Kontrolle.
»Was sollte das?«, fragte Merlin atemlos. Der Schreck hielt ihn noch fest umklammert.
»Wir müssen zurück«, sagte Selma als wäre nichts passiert.
»Was?« Merlin verstand die Welt nicht mehr. Aber in ihm kochte Zorn.
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