Das Meer in seinen Augen (German Edition)
nicht mit seinem Chef klarkommt.«
»Ja, Mam.«
»Bring ihn einfach mit«, sagte sie und entließ David endlich nach oben. Hanne ging zurück in die Küche und stellte endlich den Topf in den Schrank zurück. Dann sah sie aus dem Fenster. Das Haus gegenüber leuchtete immer noch rot in der Sonne. Vielleicht sollte sie einfach mal rübergehen und sich vorstellen? Sicher, Ansgar kam mit seinem Chef nicht klar, aber das hieß noch lange nicht, dass sie sich von dessen Familie fern halten mussten. Erst recht nicht, wenn sich David nun mit dem Jungen befreundet hatte. Vielleicht wäre es einfach das Beste, wenn sie als Mutter den Weg ebnete. Nicht zuletzt bestand natürlich die Möglichkeit, dass sie in der Mutter des Jungen eine neue Freundin kennenlernte - die erste hier in Neuss. Ansgar würde das schon verstehen. Er musste. Am Ende würde sich schon alles irgendwie zum Guten wenden.
Hanne richtete gerade das Essen an, als Ansgar nach Hause kam. Sie atmete tief durch.
»Hallo Schatz«, rief sie.
»Hallo Hannemaus.« Ansgar sah zu ihr in die Küche rein. »Bist du so weit?«
»Essen kommt gleich.« Sie drehte sich zu ihrem Mann um. »Ich muss mit dir etwas besprechen.«
Ansgar hob eine Augenbraue. »Das kann nicht bis heute Abend warten? Du weißt, meine Pause ...«
»David ist mit dem Sohn deines Chefs befreundet. Ich habe ihm gesagt, er kann ihn ruhig mit herbringen.« Sie beobachtete sein Gesicht, aber nichts deutete auf Verärgerung hin.
»So?«, sagte er schließlich.
»Ich habe mir gedacht, dass wir sie zum Essen einladen könnten«, sagte Hanne schließlich nach einem Moment.
Ansgar schwieg.
»Ich meine, wenn wir sie erst mal kennen - vielleicht kommst du dann auch besser mit deinem Chef klar. Es wäre ein Versuch wert, findest du nicht?«
»Darüber haben wir bereits gesprochen«, sagte Ansgar, »und du kennst meine Meinung dazu.«
»Was willst du machen? Willst du David vorschreiben, wen er sich zum Freund auszusuchen hat?«
»Das hat damit nichts zu tun, und das weißt du.«
Wusste sie das wirklich? Hanne schwieg bedrückt. War es letztlich nur ihr Wunsch nach Unterhaltung, der sie dazu brachte, sich mit den Nachbarn einlassen zu wollen?
»Wir werden sie nicht mehr los, wenn wir erst mit solchen Einladungen anfangen.«
»Woher willst du wissen, dass es nicht klappen wird?«
»Weil er ein arrogantes Arschloch ist, ganz einfach«, schrie Ansgar plötzlich.
Hanne sah ihn fassungslos an. So kannte sie ihren Mann gar nicht. »Ansgar, was ist mit dir?«, fragte sie besorgt.
Ansgar schwieg. Wahrscheinlich war er selbst überrascht von seinem Ausbruch.
»Vielleicht - das Essen. Wir essen jetzt«, sagte Hanne. »Reden können wir nachher noch.«
Ansgar nickte. »Ich will es euch nicht verbieten«, murrte er kleinlaut. »Wahrscheinlich habt ihr sogar recht.«
»Ich will nichts machen, was dir nicht passt.« Hanne sah ihn an. »Wenn du es nicht willst, können wir ...«
»Nein, macht nur.« Ansgar ging ins Esszimmer.
Hanne nahm Teller aus dem Schrank und lud das Essen auf. In Gedanken beschäftigte sie sich immer noch mit Ansgar. Sie konnte nicht verstehen, dass er ein solches Drama aus der Sache machte. Aber immerhin hatte er ihr den Kontakt nicht verwehrt. Sie würde ihm schon zeigen, dass die Sache halb so wild war. Und wenn er recht behalten sollte, konnte sie den Kontakt immer noch rechtzeitig abbrechen, oder nicht?
Sie trat ins Esszimmer. Ansgar las in der Zeitung. Hanne nahm sich vor, das Thema heute nicht mehr anzusprechen. Sie würde es einfach drauf ankommen lassen.
»David?«, rief sie laut. »Kommst du?«
Ansgar legte die Zeitung weg und lächelte, als wäre nichts geschehen.
17
Merlin hatte sich Mühe gegeben, möglichst geräuschlos ins Haus zu schlüpfen. Normalerweise hörte ihn seine Mutter immer. Aber heute war sie viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Also schlich sich Merlin hoch in sein Zimmer und setzte sich an den Schreibtisch, um nichts zu tun. Er schaute einfach vor sich hin. Dann trat er sich irgendwann die Schuhe von den Füßen, nahm seinen Füllfederhalter und schlug sein Tagebuch auf. Ich bin verliebt, schrieb er, nur um dann wieder im Papier zu versinken.
»Lin! Was schleichst du dich denn so rein?«, fragte seine Mutter plötzlich.
Merlin drehte sich nicht um. Gebannt schaute er weiterhin auf das weiße Blatt vor ihm mit den drei Worten.
Seine Mutter kam zu ihm ins Zimmer. »Lin?« Aber er antwortete immer noch nicht. Schließlich beugte sie sich
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