Das Meer in seinen Augen (German Edition)
mal den Mund aufmachen?«
»Ich will heute einfach nicht, okay?«, sagte Merlin.
Einen Augenblick stand Paolo konsterniert im Raum. Merlin beobachtete ihn, wie er dort in seiner Anzughose mit nacktem Oberkörper stand. Er sah verführerisch aus. Aber dafür hatte Merlin gegenwärtig keinen Blick. Seine Gedanken kreisten noch zu dicht um seine Mutter und ihre Aussage über Männer, und dass er ihr ja von seinem ersten Mal erzählen würde.
Paolo durchbrach seine Starre. Mit einem netten Lächeln ließ er sich auf das Bett nieder. »Kleiner«, fing er an und ließ seine Hände über Merlins Schenkel gleiten, »ist doch alles halb so wild.«
»Lass das!«, fauchte Merlin und sprang aus dem Bett. »Ich habe keinen Bock darauf. Geh wieder ins Büro!«
Mit einem Mal stand Paolo vor ihm. Seine Hände hielten Merlins Schultern fest umklammert. »Du spielst keine Spielchen mit mir, hörst du?«
Merlin nickte automatisch. Noch nie hatte Paolo in seiner Gegenwart die Stimme erhoben. Vorsichtig wand er sich aus dem Griff und wich nach hinten aus. In Paolos Augen funkelte etwas, das ihn lieber Abstand nehmen ließ.
»Du willst also heute nicht?«, fragte Paolo.
Merlin schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Warum?«
»Ich - ich fühl mich - nicht gut.« Das war nicht mal gelogen. Merlin hatte irgendwie das Gefühl, dass es gerade keine gute Idee wäre, etwas Unwahres zu sagen.
»Wieso sagst du mir nicht Bescheid?«
»Vergessen.«
Paolos Blick verdüsterte sich noch eine Spur. » Für dich mache ich das. Ich nehme mir eine Auszeit, damit wir allein sein können. Ich unterbreche meine Arbeit und muss die verlorene Zeit am Ende wieder reinholen.« Er machte eine kurze Pause. »Ich will keine Zeit für so eine Scheiße verplempern. Verstanden?«
Merlin nickte wieder.
»Wenn du keine Lust hast, musst du es nur sagen.« Paolo trat an ihn heran. »Hast du keine Lust?«
Wie versteinert stand Merlin vor Paolo, der ihm jetzt wirklich wie ein Unbekannter vorkam. In seinem Kopf purzelten Gedanken der Furcht und des Abscheus mit denen der Schuld und des Schmerzes durcheinander.
»Möchtest du, dass wir unsere kleine Affäre beenden?«
So wie Paolo das Wort ›Affäre‹ aussprach, hörte Merlin all das Schmutzige und Widerliche darin heraus. Fast war ihm, als wollte Paolo es ihm leicht machen, hier und jetzt auszusteigen. Es wäre richtig. Das einzig Richtige!
»Du sagst ja nichts«, hauchte Paolo.
In Merlin tobte es. Am liebsten hätte er geschrien, um alles herauszulassen. Er wollte Paolo schlagen, ihn treten und anbrüllen, dass er sich verpissen sollte. Aber er bekam kein Wort heraus, nicht mal eine Bewegung zustande. Es war, als hielt man ihn fest. Wie hypnotisiert sah er in diese braunen Augen vor ihm, die er immer so schön gefunden hatte. Nun wirkten sie nur noch kalt. Ja, er hatte Angst. Er traute sich nicht, etwas zu sagen. Ein ehrliches Wort wäre vielleicht der erste Schritt in die richtige Richtung, womöglich aber auch in die Falsche. Bisher hatte er sich immer gut mit Paolo verstanden, auch während ihrer nun mittlerweile sechswöchigen Beziehung, die sich nach und nach aufgebaut hatte. Jetzt aber war es ihm plötzlich unmöglich, diesen Mann einzuschätzen.
»Also willst du mich doch noch«, flüsterte Paolo. Es klang trotz des Flüstertons triumphierend. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem ekelhaften Grinsen.
Merlin stand kurz vor der Explosion. Es fühlte sich an, als müsse er sich übergeben. Dann spürte er aber Paolos Hand über seine Wange streicheln. Erst fühlten sich seine Finger kalt an, aber kurz darauf kribbelte es warm. Als hätte ihn jemand aus einem Albtraum geweckt, sah er wieder den Paolo vor sich, den er kannte. Mit einem Mal waren alle schlechten Gefühle fort. Sein Körper reagierte sofort auf die Berührung. Aber von Paolo kam keine weitere Initiative.
»Tu das deiner Mutter nicht an«, sagte Paolo noch, dann nahm er sein Hemd vom Boden auf und verließ das Zimmer.
Merlin stand noch eine ganze Weile reglos neben dem Bett. Von allen schlechten Gefühlen kam die Schuld als erstes zurück, um endlich seine Tränen hinauszuzwingen.
18
David trat kurz vom Fenster zurück, als sein Vater das Haus verließ. Er schaute zwar nicht zu ihm hoch, doch man musste kein unnötiges Risiko eingehen. Kaum war der Wagen seines Vaters außer Sicht, griff er sich wieder das Fernglas und beobachtete Merlin. Aber seine Aufmerksamkeit wurde augenblicklich wieder abgelenkt, als sich die Haustüre
Weitere Kostenlose Bücher