Das Meer in seinen Augen (German Edition)
sah ihm ernst in die Augen.
»Los, sag schon!« Merlin merkte, dass er nervös wurde.
Linda räusperte sich. »Ich bin heute scheiße drauf, okay?«
»Okay. Habe ich gemerkt.«
»Weißt du, Lin, ich hab mir Gedanken darüber gemacht, wie sehr ich dich doch beeinflusse.«
Merlin zog die Augenbrauen hoch.
»Ich meine, du wolltest es ihm nicht sagen und ich hab dich sozusagen gezwungen. Ist doch Scheiße, oder nicht?«
»Na ja«, machte Merlin und hob die Schultern. »Ich habe es ihm freiwillig gesagt, nicht weil du es wolltest.«
»Ich fühl mich trotzdem mies wegen der Sache.«
»Warum?« So kannte Merlin seine Freundin gar nicht. Für gewöhnlich war sie immer so selbstbewusst und wich nicht ein Stückchen von ihrem Kurs ab.
»Ich war mir einfach sicher, dass er auch - schwul ist«, sagte sie schließlich. »Ich dachte, wenn du ihm erst mal sagst, wie das mit dir so aussieht, würde er sich schon outen und alles wäre gut.«
Merlin fühlte sich ein wenig unwohl. Er wollte nicht, dass Linda wegen ihm ein schlechtes Gewissen hatte. Trotzdem konnte er nicht leugnen, dass sie einen großen Einfluss auf ihn ausübte und sicher dazu beigetragen hatte, dass er sich überhaupt erst gefühlsmäßig auf dieses Spiel der Möglichkeiten eingelassen hatte.
»Ich glaube, ich komme damit klar, dass er nicht in Frage kommt für mich«, sagte Merlin schließlich. »Eigentlich habe ich es doch nicht anders erwartet.«
»Es ist voll auffällig, dass du tierisch verknallt bist.«
»Was?« Merlin schnappte nach Luft.
Linda lächelte süffisant. »Sicher weiß es schon die halbe Klasse. Du bist halt nicht so geschickt mit deinen heimlichen Blicken.« Plötzlich wurde sie wieder ernst. »Ich hätte es mir für dich gewünscht.«
Merlin schluckte. »Ist schon okay.« In ihm brodelte es aber. Er musste sich ab sofort weniger auffällig verhalten!
Linda nickte vorsichtig.
»Ich gehe jetzt. Oder willst du noch was loswerden?«
»Wir sollten mal in so einen Schwulenschuppen gehen. Bei mir in Köln gibt es davon doch eine Menge.«
»Ach.« Merlin winkte ab und ließ Linda stehen.
»Bis morgen, Lin!«, rief sie noch und er hob kurz die Hand zum Abschied. Es musste sie eine Menge Überwindung gekostet haben, hinter ihm herzulaufen, um ihm das zu sagen. Er lächelte. Sonst war sie immer so hart.
Am anderen Ende der Wiese sah Merlin David auf der Bank sitzen. Es kam ihm gar nicht so vor, als sei er unglücklich verliebt. Vielleicht wollte er ja doch nicht mehr, als eine ganz normale Freundschaft? Als er aber bei David angekommen war und der ihn mit seinen braunen Augen ansah, fühlte er zum ersten Mal diesen kleinen, wohlbekannten Stich der unerwiderten Liebe in sich. Wieder tauchte die Frage in seinem Kopf auf, wieso er sich überhaupt so sehr auf das alles eingelassen hatte.
»Was sagt sie?«, fragte David. Er blieb wie selbstverständlich sitzen.
Kurz überlegte Merlin, ob er sich nicht auch setzen sollte, entschied sich dann aber dagegen. »Ach, sie wollte mir nur sagen - also - dass sie ihre Tage hat.«
David lachte herzerfrischend. »Lag ich also richtig.«
Merlin konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Trotzdem fühlte er sich seit dem Gespräch mit Linda schwer.
»Willst du dich nicht sezten?«, fragte David.
Merlin schüttelte den Kopf. »Ich werde wohl reingehen und die Aufgaben machen.«
»Mathe?«
»Ja.« Aber sicher war Merlin sich nicht. Er hatte viel mehr das Gefühl, dass er sich aufs Bett werfen würde, um eine Runde zu heulen. Zumindest fühlte er sich momentan so. Irgendwie konnte er nicht verhindern, dass er Lindas Worten nach und nach Glauben schenkte. Er trieb unaufhaltsam in diese Situation und verwirklichte ungewollt die gutgemeinten Ratschläge. Nur ausbaden durfte er es allein. Wo blieb Lindas Rat jetzt?
»Du machst aber nicht den Eindruck, als wäre es nach dem Gespräch besser geworden«, merkte David an.
Merlin schwieg.
»Willst du drüber reden?«
Er schüttelte den Kopf. Mit einem Mal traute er sich nicht mehr zu antworten, weil er befürchtete, seine Stimme könne sich brüchig anhören. In der Tat hatte er das Gefühl, jeden Moment in Tränen auszubrechen.
»Hey.« David sprang auf und stand plötzlich direkt vor ihm.
Merlins Herz klopfte heftig in der Brust.
»Wenn irgendwas nicht stimmt, kannst du es mir sagen, okay?«
Davids Stimme klang tief und sonor, gar nicht so jungenhaft, wie man es sich bei ihm vielleicht vorstellen mochte. Wieder lag eine seltsame Spannung in der
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