Das Meer in seinen Augen (German Edition)
Luft und Merlin traute sich nicht zu atmen. Dann spürte er eine sanfte Berührung an seiner Hand. Innerlich zuckte er zusammen, als hätte ein Stromstoß seinen Körper durchlaufen. Doch David schien davon nichts mitbekommen zu haben. Er sah ihn nur ernst und aufrichtig an. Große, schöne, braune Augen.
»Okay«, presste Merlin hervor. »Danke.« Dann drehte er sich um und ging.
23
David sah ihm eine Weile hinterher. Für heute würde er es dabei belassen, auch wenn er Merlin am liebsten eingeholt und noch mit ihm geredet hätte. So betrachtete er lediglich seine Rückansicht und wartete, bis er hinter den Bäumen verschwunden war. Dann schlenderte er langsam nach Hause. Merlins Augen ließen ihn aber nicht los. Er hatte traurig gewirkt. David war sich mit einem Mal vollkommen sicher, dass Merlin nicht mit Linda über das gesprochen hatte, was ihn im Grunde bewegte. Eigentlich war das eine groteske Situation, fuhr es David durch den Kopf. Auf der einen Seite stand Merlins beste Freundin, die ihm sonst immer mit Rat und Tat beistand, die aber aus irgendeinem Grund nicht wusste, dass Merlin mit diesem älteren Typen schlief. Auf der anderen Seite sah er sich selbst, der neue Nachbar, der zwar von der Beziehung wusste, aber sich nicht tröstend zu Wort melden konnte, weil er sich nicht verraten durfte. Dazu kam noch die simple Tatsache, dass sie sich erst seit drei Tagen kannten und Merlin sich wohl nicht einem Fremden anvertrauen würde, wenn es um Probleme in seiner Beziehung ging, von der noch nicht mal Linda wissen durfte.
Völlig gedankenverloren schloss er die Tür auf und wurde gleich von seiner Mutter empfangen.
»Hallo Davidschatz«, rief sie fröhlich und zog ihn herein. »Ist heute nicht ein schöner Tag?«
»Mam«, sagte David verwirrt. »Was ...«
»Ach, frag nicht«, unterbrach sie ihn und winkte ihn in die Küche. »Ich hatte einen hervorragenden Tag bis jetzt. Und ich glaube, er wird noch viel besser enden.«
David überlegte, ob seine Mutter vielleicht etwas getrunken hatte. So abwegig das war, würde es wohl noch am Besten zu ihrer seltsamen Ausgelassenheit passen. »Mam?«
»Was denn mein Schatz?«, fragte sie und lächelte ihn übers ganze Gesicht an. »Möchtest du vielleicht einen Tee?«
David schüttelte den Kopf. »Nein.« Seit wann trank seine Mutter denn Tee? »Es ist tierisch heiß heute.«
Sie schenkte ihm trotzdem eine Tasse ein. »Gerade deshalb sollte man einen heißen Tee trinken. Hier, nimm!«
Zögernd ergriff David die Tasse und roch daran. Sofort bildete er sich einene kühlenden Effekt ein.
»Trink«, sagte seine Mutter und goss sich ebenfalls noch nach. »Es wirkt unglaublich.«
David nippte, dann stellte er den Becher auf die Anrichte und sah seine Mutter ernst an. »Was ist los?«
Sie grinste. »Wir haben eine Einladung, David.«
»Von wem?«, fragte er völlig baff.
»Von unseren Nachbarn«, antwortete seine Mutter und lächelte breit. »Selma kam einfach rüber und wollte mit mir einen Tee trinken.«
»Der Tee ...«, sagte David, als verstünde er endlich, was es damit auf sich hatte.
»Genau. Sie hat ihn geholt. Du wirst es nicht glauben, sie mischt ihn selbst an. Wirklich erstaunlich, was?«
»Ja, wirklich.« David fand den Gedanken befremdlich, dass seine Mutter sich von einer fremden Person so in Begeisterung versetzen ließ. Für normal kehrte sie Unbekannten gegenüber immer die feine Dame heraus. Wenn er da so an die bisherigen Freundinnen seiner Mutter dachte, konnte er sich kaum vorstellen, dass sie sich mit einer rothaarigen Hippiemutter abgab. Irgendwie passte da was nicht zusammen.
»Wie ist sie denn so«, fragte David schließlich.
»Ach, irgendwie sieht Selma ja schon ein wenig - seltsam aus.« Seine Mutter verzog das Gesicht und zeigte auf ihre Hände. »Sie hat dieses Hennazeug auf den Fingern. Ich finde ja, sowas sieht immer ein bisschen unästhetisch aus.« Dann zuckte sie mit den Schultern. »Aber wenn sie meint.«
David nickte. Er konnte immer noch nicht glauben, was er da gerade hörte.
»Man muss ihr ja lassen, es steht ihr schon irgendwie, dieses - Hippiegetue. Hast du sie schon mal gesehen?«
David schüttelte automatisch den Kopf. Sicher hätte seine Mutter sonst noch tausend Fragen gestellt.
»Trink deinen Tee, Schatz.«
»Ich will nicht, Mam.«
Plötzlich wich die gute Laune. Hastig schnappte sie Davids Tasse und kippte den Inhalt in den Ausguss. Dann nahm sie noch einen Schluck aus ihrem eigenen Becher und goss danach
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