Das Meer und das Maedchen
Restaurant, wo sie die kleinen Muscheln bestellen konnten, die Mirja aus dem nassen Sand klaubte.
Abends reihte sie die Figuren am Rand der Badewanne auf, wenn sie ein Bad nahm. Beim Abendessen setzte sie sie in einen Halbkreis um ihren Teller. Sie nahm sie überallhin mit, in ihren Hosentaschen, in ihrem Rucksack, in einem Schuhkarton.
Und jetzt, hier im Flitzer , waren sie auch bei ihr, Mr Beauchamps Geschenke, die – wenn ihr Plan funktionierte – bald ihre Geschenke an jemand anderen sein würden.
Nur für alle Fälle.
„Doppelt hält besser“, sagte Signe immer.
Sieben mal doppelt.
Ihr Plan war gut, zweifellos. Aber nur für alle Fälle hatte sie sieben Meerlinge dabei. Sieben Geschenke für Yemayá, die Mutter der Meere. Von allen Meerleuten war Yemayá die Wichtigste. Die anderen waren alle einzigartig, auf ihre ganz eigene, besondere Weise, aber nur Yemayá besaß die wahre Macht.
Sie war weder schön wie Lorelei, noch sang sie so lieblich wie die Sirenen, aber Mr Beauchamp hatte Mirja erklärt: „Wenn du ihr ein Geschenk machst, erfüllt sie dir vielleicht einen Wunsch.“
Sie hatte den Glücksbringer, Yemayá und die anderen, und überall war die Zahl Sieben. Mehr Glück konnte es doch überhaupt nicht geben, oder?
Und nicht nur das: Sie hatte den perfekten Plan schwarz auf weiß in ihrer Gesäßtasche. Und Wort für Wort in ihrem Kopf.
„Cooleoleo!“, rief sie leise, ein Wort, das sie von den Surfern aufgeschnappt hatte. Es war eins ihrer absoluten Lieblingsworte.
BF schmatzte ihr einen Flüchtikuss auf die Wange.
24 Aber im Augenblick trat Mirjas perfekter Plan auf der Stelle, jedenfalls so lange, bis der Mond das Wasser nach oben gezogen hatte. Vorher fuhr dieses Boot nirgendwohin. Mirja konnte die Beine nicht stillhalten. Sie ließ sie auf- und abwippen, auf und ab, auf und ab. Sie merkte, dass das Wasser stieg, aber es stieg ihr nicht schnell genug. Sie wusste genau, dass sie warten musste, bis die Flut ihren Höchststand erreicht hatte, ansonsten würde sie in die falsche Richtung getrieben werden, nämlich geradewegs hinein in den Salzgrassumpf.
BF winselte. Bitte lass uns heimgehen. Bitte.
Er wollte wirklich und unbedingt wieder ins Haus, auf seinen angestammten Platz neben Mirjas Bett.
„Weißt du, BF , es ist übrigens auch deine Schuld“, sagte sie zu ihm. Gleich darauf bekam sie ein schlechtes Gewissen. Denn es war gar nicht seine Schuld, oder?
Doch, irgendwie schon, jedenfalls teilweise. Immerhin hatte er den Kater gejagt.
„Ja, und auch Sindbads Schuld!“, erklärte Mirja. Der Kater trug seinen Teil der Verantwortung. Dummer alter Kater.
Der Kater erinnerte Mirja an Mr Beauchamp. In letzter Zeit saß er immer öfter mit Sindbad auf der Veranda und starrte hinaus aufs Wasser. Ein paarmal am Tag stand er auf, um etwas zu essen, seine Blumen zu gießen oder den Kater zu füttern. Etwa einmal pro Woche fuhr ihn Dogie in die Stadt, damit er Lebensmittel für sich und den Kater kaufen konnte, aber abgesehen davon verließ er kaum noch das Haus.
„Umso mehr müssen wir uns um ihn kümmern“, hatte Signe zu Mirja gesagt. Und das taten sie. Signe, Mirja und Dogie besuchten ihn jeden Tag. Mirja nahm ihre Meerlinge mit und lauschte seinen Geschichten, während sie seine Topfpflanzen wässerte.
Aber jetzt knäulte der Gedanke an Mr Beauchamp das Schuldgefühl zusammen, bis es ihr wie ein Klumpen im Hals saß.
Mr Beauchamp war der älteste Mensch in der Oyster Ridge Road. Er war so alt, dass er seinen Geburtstag vergessen hatte, behauptete er.
„Methusalem!“, sagte er zu Mirja. „Ich bin so alt wie Methusalem.“ Abgesehen von den Geschichten über die Meerleute hatte er ihr Seemannslieder beigebracht, die sie wiederum Dogie lehrte und von denen sie kein einziges Signe vorsangen. Denn Signe – das wussten sie – würde die Nase rümpfen und sagen, das sei aber sehr unanständig. Und wenn Mirja ehrlich war, musste sie zugeben, dass sie die Lieder zwar völlig harmlos fand, aber einige der Worte in Signes Augen vermutlich noch verbotener waren als „verdammt“. Daher war es höchst unwahrscheinlich, dass Signe die Lieder auf die gleiche Weise zu schätzen wusste wie Mirja, Mr Beauchamp und Dogie. Also bekam sie auch keins davon zu hören.
Mr Beauchamp zeigte Mirja auch, wie man die alten Rosenstöcke und den nachtblühenden Kaktus pflegte, die in großen Porzellantöpfen auf seiner Veranda standen.
„Dieser Kaktus blüht nur einmal im Jahr und nur bei
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