Das Meer und das Maedchen
Tausende?
Und viele mehr waren unterwegs hierher, schossen unter den Wellen in den Golf von Mexiko. Sie kamen aus Bermuda und St. Thomas und sogar von der Westküste Afrikas. Und dort, mitten unter ihnen, ritt der alte Schwimmer auf den Wellen. Endlich hatte jemand einen Wunsch auf den Porte-bonheur ausgesprochen. Daran bestand kein Zweifel.
Die lange Rückenflosse zerschnitt die Oberfläche des Wassers.
66 Zwei setzte sich auf und schaute durch das Schlafzimmerfenster nach draußen. Von seinem Platz auf dem Kopfkissen aus sah er den Mond stetig höher steigen.
Die Brise wehte kühl um seine Nase. Er schnüffelte. Jap, jap, jap , dachte er. Da lag etwas in der Luft, ganz gewiss.
Er schaute Dogie an, der immer noch fest schlief. Sollte er ihn aufwecken? Er lauschte auf den Atem des Mannes, der in der stillen Nachtluft kam und ging. Wieder schnüffelte er. Wahrscheinlich war es noch nicht dringend. Er würde noch ein wenig warten.
Zwei hatte ja keine Ahnung, dass nur wenige Meter entfernt Dogies kleines Boot von der Strömung aus dem Becken gezogen wurde und dass in diesem Boot sein Freund BF ebenfalls den Mond betrachtete und sich etwas von ganzem Hundeherzen wünschte: Wacht auf! Bitte wacht auf!
Irgendjemand musste doch aufwachen.
67 Durch die tiefe Enttäuschung der so sehnsuchtsvoll erwarteten Nacht kämpfte sich Sindbads Schnurren bis an Mr Beauchamps Ohr. Der Kater kauerte auf seiner Schulter, ganz nah am Hals. Mr Beauchamp streckte die Hand nach oben und tätschelte ihn, strich über das seidige Fell. Gab es etwas Lieblicheres als das Schnurren einer Katze?
„Ach, Sindbad“, sagte er. Dann versuchte er Atem zu holen. Die Luft fühlte sich dick und schwer an, und er musste tief, ganz tief einatmen, um genug davon zu bekommen. Sie schien seine Lunge zu zerquetschen. Er hustete, und jeder Atemzug wurde von einem stechenden Schmerz begleitet.
Er legte die Hand auf die Brust. Der Kater schnurrte noch ein bisschen lauter.
Auf dem kleinen Tisch neben Mr Beauchamp lag ein Stück Treibholz und daneben sein Schnitzmesser. Er hatte schon ein paarmal angesetzt, eine neue Figur für Mirja zu schnitzen, aber er war nicht weit gekommen. Diejenige, die sie von ihm verlangt hatte … nun, er war nicht sicher, ob er das fertigbrachte. Und so lag das Holz, das Mirja ihm gebracht hatte – ein schlanker Wacholdertrieb – leblos und stumm da.
Wacholder. Er erinnerte sich an die Wacholderhaine der Camargue. Vielleicht stammte dieses Stück Holz von dort. Möglich war es.
Er tätschelte den Kater noch einmal. In letzter Zeit fühlte er sich unruhiger als gewöhnlich, als ob er das Ruder umschlagen müsste, obwohl sich das Schiff seiner Hand widersetzte. Er schluckte einen Mundvoll Luft und ließ den Atem so langsam wie möglich aus seinem Körper strömen. Heute Nacht, dachte er, hätte eine ganz besondere Nacht sein sollen. Der Mond war voll und vollkommen blau. Eine Nacht voller Möglichkeiten.
Stattdessen lag der nachtblühende Kaktus, den er in einem Topf auf seiner Veranda gezogen hatte, auf dem Abfallhaufen neben der Einfahrt. Er würde nicht mehr blühen, nicht nach dem tiefen Fall. Der Verlust der Blüten wog genauso schwer wie das Fehlen ihres Duftes, der diese Nacht hätte krönen sollen. Dort, wo seine geliebten Pflanzen gestanden hatten, waren leere Stellen zurückgeblieben. Er fühlte sich beraubt.
„Das war unsere letzte Chance, mon ami borgne “, sagte er zu dem schwarz-weißen Kater.
Er seufzte. Sein französisches Heimatdorf kam ihm in den Sinn und die süße Erinnerung an zwei Jungen, die sich im milchigen Licht des Mondes an den Händen hielten.
Das führte seine Gedanken zu seinen beiden jungen Nachbarn.
„Er sollte sie bitten, seine Frau zu werden“, sagte Mr Beauchamp zu seinem Kater. Seine Stimme klang mit einem Mal gereizt. „Das hätte er schon längst tun sollen.“
Sindbad wusste, dass Mr Beauchamp von Dogie sprach. Wenn der Kater hätte sprechen können, hätte er Mr Beauchamp zugestimmt. Aber er konnte nicht sprechen.
Stattdessen sprang er vom Stuhl, spreizte seine Vorderzehen und streckte sich.
Liebe , dachte Mr Beauchamp. Das ist nichts, was man aufschieben darf. Sie ist so schwer zu finden. Der alte Mann wusste, wovon er sprach. Man durfte die Liebe nicht aufschieben, niemals.
„Er sollte sie fragen“, wiederholte er. Sindbad kratzte sich mit der Hinterpfote das Ohr, kuschelte sich in einem Mondstrahl ein und schnurrte, so laut er konnte.
68 Im Gegensatz zu BF , auf
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