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Das Meer und das Maedchen

Das Meer und das Maedchen

Titel: Das Meer und das Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathi Appelt
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auf! Dein Mädchen ist draußen auf dem Meer.
    Dein Mädchen ist draußen auf dem Meer.
    79 Im Haus nebenan hatte Zwei mehr Erfolg als der Mond. Er lief im Kreis auf dem Kopfkissen herum, während Dogie auf der Bettkante saß und sich den Kopf kratzte.
    „St…St…Sturm?“, fragte er und schaute Zwei an.
    „Jap, jap, jap!“, kläffte Zwei.
    Dogie zog sich eine Hose und ein T-Shirt an und schlüpfte in seine Flip-Flops.
    „Erst einen K…K…Kaffee“, verkündete er.
    „Jap, jap, jap!“, sagte Zwei, aber diesmal war es kein zustimmendes Kläffen. Er wünschte sich inständig, dass er sagen könnte: Nein, nein, nein, keine Zeit für Kaffee! Aber er wusste, dass Dogie zu nichts zu gebrauchen war, bevor er nicht eine Tasse Kaffee getrunken hatte.
    Wieder kläffte er: „Jap, jap, jap!“ Und zum Nachdruck fügte er noch ein leises Knurren hinzu.
    „Okay“, sagte Dogie. „Ich h…h…hab’s kapiert.“ Aber statt zur Tür hinauszugehen, steuerte er die Küche an, wo die Kaffeemaschine stand.
    „Grrrr …“ Zwei trottete zur Hintertür und setzte sich hin. Er wollte gehen. Er. Wollte. Gehen. „Jap, jap, jap!“
    80 Auch Mr Beauchamp auf der anderen Straßenseite sah den Mond. Wie lang diese Nacht war! Er kraulte Sindbad und sackte in seinem Schaukelstuhl zusammen. Eine halbe Ewigkeit war er schon hier, in diesem Haus an der Oyster Ridge Road.
    Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann er hier an Land geschwommen war. Wie lange war das her? Siebzig Jahre? Oder hundert?
    Wo wohl die weißen Pferde waren?
    Wegen ihnen war er nach Texas gekommen, auf einem großen Schiff, das auf die Sandbank vor der Küste aufgelaufen war. Die weißen Pferde, die eigentlich einem Zirkus in Galveston gehörten. Er erinnerte sich an jenen schrecklichen Tag, erinnerte sich an die verängstigten Tiere, an ihre Schreie, als das Boot kreischend aufgerissen wurde und sich zur Seite neigte. Dann strömte das Wasser ein.
    Sanft hatte er die Pferde eins nach dem anderen an die Reling geführt und sie ermutigt, ins Wasser zu springen. Und sie alle hatten ihm vertraut. Als das letzte, eine rauchgraue Stute, zögerte und zurückwich, zog er sich auf ihren Rücken und trat ihr mit den Fersen fest in die Seiten, sodass sie einen Satz vorwärts machte. Ihre Vorderbeine schlugen wild in der leeren Luft, und dann fielen sie gemeinsam ins Wasser.
    Diesen Moment würde Mr Beauchamp niemals vergessen. Er hatte das Gefühl, auf einem geflügelten Pferd zu sitzen. Auf Pegasus selbst. Er flog. Es war wundervoll und furchterregend zugleich. Im Wasser rutschte er vom Rücken der Stute, und gemeinsam schwammen sie an den Strand.
    In dieser Nacht gingen zehn Pferde an Land und verschwanden in den Salzsümpfen der texanischen Küste, die ihrer Heimat in Südfrankreich so ähnelten, nur dass hier weniger Bäume standen.
    Fort. Alle Pferde waren fort. Und noch etwas verschwand – ein Porte-bonheur . Irgendwo zwischen dem untergehenden Schiff und dem Strand, irgendwo im Meer vor der Küste, war er aus Henris Tasche geglitten.
    Niemand machte sich die Mühe, die Pferde wieder einzufangen. Sobald der Kapitän einen Schlepper gefunden hatte, der ihn von der Sandbank zog, fuhr er in den Hafen von Galveston, wo er nur so lange blieb, bis die nötigsten Reparaturen durchgeführt worden waren. Dann fuhr er weiter nach Ägypten. Henri Beauchamp fuhr nicht mit.
    Stattdessen heuerte er auf einem Passagierdampfer an, der nach Frankreich fuhr, zurück nach Les Saintes-Maries-de-la-Mer. Er musste Jack finden. Er schämte sich für sein Benehmen. Doch alles, was zählte, war die Sehnsucht, wieder Jacks Hand zu halten.
    Als er sein Heimatdorf erreichte, rannte er zu dem Platz mit dem Brunnen, aber niemand kannte einen Jungen, auf den Jacks Beschreibung passte. Rabenschwarze Haare, himmelblaue Augen. Er machte sich sogar auf die Suche nach dem alten Fischerweib, aber auch sie war den Leuten unbekannt. Tage-, wochen-, monatelang ging er zu dem Brunnen. Nacht für Nacht. Aber Jack kam nicht wieder, ebenso wenig wie das Fischerweib.
    Als Henri schon aufgeben wollte, entdeckte er einen großen schwarz-weißen Kater mit nur einem Auge. Der Kater schien ihm zuzuzwinkern und dann fuhr er ihm schnurrend um die Beine. War es derselbe Kater, der an jenem Tag, als Jack ihm den Porte-bonheur geschenkt hatte, auf dem Platz gewesen war? War das überhaupt möglich? Henris Herz schlug heftig in seiner Brust. Er bückte sich und kraulte den Kater zwischen den Ohren. Henri fasste

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