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Das Meer und das Maedchen

Das Meer und das Maedchen

Titel: Das Meer und das Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathi Appelt
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ihm zu. Er rieb sich die Augen und blickte langsam über seine Schulter zurück. Und da, am Ende des Anlegers, saß der einäugige Kater. Ohne zu überlegen, winkte Henri ihm zu. Und obwohl er es nicht beschwören konnte, war er sich sicher, dass der Kater ihm mit seinem gesunden Auge zuzwinkerte.
    In diesem Moment wusste Henri, dass er einen Fehler begangen hatte. Er hätte nicht weglaufen sollen. Er hätte beim Brunnen bleiben sollen. Er hätte sich wenigstens verabschieden sollen.
    Er steckte die Hand in die Tasche und ertastete den Porte-bonheur . Er war immer noch warm. Wieder schaute Henri zum Anleger. Der einäugige Kater saß dort und wartete. Und da drehte sich Henri auf dem Absatz einmal im Kreis mit weit ausgebreiteten Armen. Es war doch völlig egal, was Jack war! Wichtig war nur, dass er ihn liebte.
    76 Während sich die Küste immer weiter von ihr zurückzog, drückte Mirja die wunde Handfläche gegen ihre Hosentasche.
    Wenn Yemayá so mächtig war, warum – oh, warum nur! – hatte sie ihr dann nicht geholfen? Immerhin hatte Mirja ihr nicht nur eine, nicht zwei, nicht drei, nicht vier, sondern fünf – jawohl, fünf! – ihrer kostbarsten Besitztümer geschenkt: Sedna, den Ningyo, die Wasserfrau, die Sirene und Lorelei. Sie hatte nur noch zwei Figuren übrig, wovon eine das Abbild von Yemayá selbst war.
    „Mutter der Meere“, rief sie und wiederholte ihren Wunsch: „Hilf mir, meine Mutter zu finden!“ Dann drehte sie den Kopf und lauschte auf eine Antwort.
    Nichts.
    Vielleicht, überlegte Mirja, reichte für Yemayá ein Wunsch nicht aus. Vielleicht musste es etwas Größeres sein. „Ich weiß“, sagte sie, „ein Gebet!“
    Sie dachte über ein passendes Gebet nach, aber die meisten Gebete, die Signe ihr beigebracht hatte, waren Gebete der Dankbarkeit, etwa für den blauen Himmel, die saubere Luft, frische Melone und die winzigen Geckos. Es waren keine Gebete dabei, in denen man um Hilfe flehte.
    Signe war nicht der Typ, der jemanden um Hilfe bat.
    Außerdem wusste Mirja, dass Signe solche Gebete vermutlich für nicht besonders sinnvoll halten würde. „Sei vernünftig, Mirja!“, würde sie sagen.
    Mirja schaute zum Mond, faltete die Hände zum Gebet, und dann, aus heiterem Himmel …
    „Komm her! Komm her!“
    Captain! Er war wieder da! Wo immer er auch während des wilden Ritts durch den Kanal gewesen war, er war zurückgekehrt! Mirja atmete erleichtert auf, als sie den Vogel sah. Wenn Captain hier war, konnten sie nicht allzu weit vom Land entfernt sein.
    BF setzte sich auf. Captain landete mit ein paar ungeschickten Seitwärtsschritten auf der Bank, legte die Flügel an den Leib, plusterte sich auf und kreischte: „Komm her! Komm her!“
    Und dann schauten Vogel und Hund sie geradewegs an, als ob sie sagen wollten: Okay, bis jetzt hat’s Spaß gemacht, aber nun ist es endlich höchste Zeit, nach Hause zu gehen.
    Nach Hause , dachte Mirja. Wie sollte sie wieder dorthin kommen?
    Mirja hatte nicht die Absicht gehabt, mit dem Flitzer an De Vacas Fels vorbeizufahren. Der Plan war gewesen, mit der Flut bis zur Sandbank zu rudern und dort auf Meggie Marie zu warten. Es hätte nur ein kleiner Ausflug sein sollen. Nichts weiter. Kinderleicht.
    Die Punkte I, J, K und L: zur Sandbank rudern. Meggie Marie finden. Meggie Marie alles erzählen, was an diesem schrecklichen Tag geschehen war. Alles. Meggie Marie fragen, was zu tun war.
    So hätte der Plan ablaufen sollen. Mirja schob den Daumen in die Gesäßtasche ihrer Shorts. Der Plan war immer noch da. Aber er funktionierte nicht. Da war nirgends die Rede von: an der Sandbank vorbei aufs offene Meer fahren.
    Und wie sollte sie jetzt Meggie Marie finden? Konnte Meggie Marie nicht sie finden? Das war eine gute Idee: Meggie Marie sollte sie finden!
    Mirja griff nach dem Glücksbringer an ihrem Hals. Sie würde sich noch etwas wünschen. Das war es. Und vielleicht würde sie auch ein kleines, stummes Gebet zum Mond schicken. Aber noch ehe sie sich überlegen konnte, was sie sagen wollte, hob eine große Welle das Boot hoch und schüttelte es durch. BF jaulte. Mirja hielt ihn an den Riemen seiner Schwimmweste fest. „Aufpassen!“, sagte sie zu ihm, und genau in dem Moment rollte eine weitere Welle neben ihnen heran und schob das Boot seitwärts. Ihr Magen revoltierte.
    In welche Richtung fuhr sie? Dort, wo sie die Küste vermutete, war nur Wasser.
    Wasser, Wasser und noch mal Wasser.
    Sie konnte die Häuser nicht mehr sehen. Vor Schreck bekam Mirja

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