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Das Meer und das Maedchen

Das Meer und das Maedchen

Titel: Das Meer und das Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathi Appelt
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ihm und schenkte ihm die Ukulele.
    „Hier“, sagte er. „Die habe ich bekommen, als ich aus meinem Krieg zurückkehrte.“ Dogie schaute das winzige Instrument an und wusste nichts zu sagen. Nicht einmal „D…D…Danke“. Sein Onkel erwartete auch keinen Dank. Er sagte nur: „Jeder, der im Krieg war und ihn überlebt, braucht etwas Musik.“ Er dachte kurz nach. „Die Ukulele wird dir vermutlich helfen.“
    Onkel Sylvester lieferte keine weitere Erklärung ab, sondern überreichte Dogie das Instrument und ging wieder.
    Dogie wollte niemandem vom Krieg erzählen, davon, was er gesehen, gehört, gerochen oder geschmeckt hatte. Es gab nichts zu sagen. Außerdem bekam er die Worte sowieso nicht heraus, selbst wenn er es gewollt hätte. Er saß einfach nur da und zitterte. Er zitterte von Kopf bis Fuß. Und die ganze Zeit saß Onkel Sylvesters Ukulele neben ihm, klein und stumm.
    Sie saß da, bis Dogies Mutter sie zur Hand nahm und sie Dogie reichte.
    Er fuhr mit dem Daumen leicht über die Nylonsaiten. Das Instrument klingelte. Das ist der Unterschied zwischen einer Ukulele und anderen Saiteninstrumenten. Eine Ukulele klingelt, fast wie eine Glocke. Sie hat einen scharfen, klingelnden Klang.
    Dogie hatte seine Ukulele von da an immer bei sich. Sie saß neben ihm, als er mit dem gelben Bus die Landstraßen und die Highways entlangfuhr, bis er diesen Bus auf dem Sandstrand an der texanischen Küste abstellte. Und seitdem hatte er jeden Abend auf der Veranda des spukblauen Hauses gesessen und auf dieser Ukulele seine Lieder gespielt, klar und deutlich und ohne zu stottern. Für Signe und Mirja.
    Aber das war vor der Sache mit den Krabben und der zerbrochenen Holzschale gewesen, vor den zerschmetterten Blumen und der zersplitterten Ukulele. Was ihm blieb, war ein ungesungenes Lied, das nur zwei Worte hatte, und ein blauer Mond, der so voll war wie ein Topf Gumbo.
    82 Ein verzweifelter Ausdruck lag auf BF s Gesicht. Die Wellen wurden immer höher. Der Wind frischte auf. Das kleine Boot war für das seichte Wasser einer Lagune gemacht. Dem Golf von Mexiko konnte es nichts entgegensetzen. Auch die vergleichsweise kleinen Wellen kamen ihm riesig vor.
    Sie mussten eine Möglichkeit finden, nach Hause zu kommen. Und zwar bald.
    83 Mirja sah sich um. Wasser, wohin sie auch blickte. Nichts als Wasser. Der Flitzer konnte sich nicht für eine Richtung entscheiden. Er drehte sich unentwegt, erst hierhin, dann dorthin, zuckte und ruckte, schaukelte und rollte. Dann stand er still, gerade so lange, bis sie zu Atem gekommen war, woraufhin er wieder anfing zu kreiseln. Mitten in dem ganzen Herumwirbeln spürte Mirja, dass der Wind stärker wurde. Die Wellen kamen ihr mit einem Mal höher vor.
    Ihr war schwindelig. Das ganze Gedrehe … hin und her, hin und her … dreh dich voller Wonne!
    Wo war Meggie Marie? Mirja versuchte es noch einmal mit Rufen. „Hier drüben! Wir sind hier!“ Ihre Stimme brach. Sie wurde rau und krächzend.
    Ihre Mutter sollte irgendwo hier draußen sein. Hier hatte Mirja sie zuletzt gesehen. „Meggie Marie!“, rief Mirja.
    Dann lauschte sie. Keine Antwort. Selbst der Wind schien ihren Namen vergessen zu haben. Der Mond, der hoch über ihrem Kopf hing, sah so klein aus wie ein Flaschenverschluss.
    Und da fühlte sich Mirja mit einem Mal so klein wie eine Elritze. Nein, noch kleiner. Wo war ihre Mutter? Die ganzen Jahre war sie sich sicher gewesen, dass ihre Mutter hier draußen war und über sie wachte. Auf sie wartete.
    Wo war sie jetzt?
    84 Man nehme …
    eine tiefdunkle Nacht
ein winzig kleines Boot
ein Mädchen mit einem Glücksbringer
eine lahme Möwe
eine brausende Strömung
einen großen blauen Mond
    Gut umrühren. Was kommt dabei heraus?
Ein verängstigter Hund.
    85 Captain hatte genug von dem Boot, besonders, weil es dort nichts zu futtern gab. Er beschloss, die Seefahrt zu unterbrechen, um etwas Essbares aufzutreiben.
    Von der Holzbank des Bootes erhob sich Captain in die Lüfte. Seine Flügel schaufelten sich durch die nasse Luft über dem Wasser und trugen ihn höher und höher. Als er zu BF und Mirja hinabschaute, kamen sie ihm klein vor inmitten des Wassers.
    Es passiert nicht oft, dass sich eine Möwe etwas wünscht, was man nicht essen kann. Aber in diesem Moment wuchs Captain über sein Möwendasein hinaus und wünschte, das Mädchen und der Hund könnten fliegen, könnten sich gemeinsam mit ihm erheben und nach Hause fliegen.
    86 Mirja achtete nicht auf Captain. Sie beäugte die Wellen.

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