Das Meer wird dein Leichentuch
Deck gefunden und sofort hierher getragen.“ hörte ich die Stimme des Arztes wie aus weiter Ferne. „Sie war fast eine Stunde ohnmächtig.“
„Der Tod! Ich habe den Tod gesehen.“ flüsterte ich mit aller Mühe. „Der Tod ist an Bord der Titanic ...“ Aber niemand achtete auf meine Worte. Dann setzte die Wirkung der Spritze ein. Übergangslos sank ich in tiefen Schlaf.
Aber selbst im Schlaf verließ mich das grauenvolle Bild nicht, das ich gesehen hatte. Ein Albtraum, der sich in die Dunkelheit meines Bewusstseins drängte.
Vor meinen geistigen Augen stand Damian de Armand in seinem schwarzen Anzug und dem wallenden Mantel. Tiefe Trauer lag in seinem Gesicht. Aus seinen dunklen Augen starrte mich aller Jammer dieser Welt an.
Doch dann veränderte sich das Bild. Wie Nebelfetzen im Nordwind wurde die menschliche Hülle hinweg geweht. Und zeigte mir der Albtraum noch einmal Damian de Armand ohne den gnädigen Schleier, mit dem er seine wahre Gestalt verhüllte.
Ein halb zerfallener Umhang in fleckigem Grau umschlotterte das gelbliche Knochengerippe, das sich aus seinem Körper formte. Die edlen Gesichtszüge wurden zu einem grausigen, grinsenden Totenschädel. Die hohlen Augenhöhlen starrten mich an.
„Der Tod! Ich bin der Tod, Danielle!“ hörte ich wieder die schauerlich hallende Stimme in meinem Inneren.
In der rechten Hand hielt der Tod die Sense, mit der er die Leben hinweg mähte wie der Schnitter das reife Korn. Die Linke aber streckte das Stundenglas in die Höhe. Mit Schauer sah ich die letzten Sandkörner in die Knochenhand rinnen. Die letzten Lebenskörner der Menschen an Bord der Titanic.
Ich, Danielle Bidois, hatte den Tod gesehen.
Der Nehmer allen Lebens war mir in schauerlicher Majestät gegenübergetreten.
Ja, mein Herz krampfte sich vor Angst und Grauen zusammen.
Und dennoch liebte ich den Mann, der der Tod war.
Ich liebte Damian de Armand. Ich liebte den Tod.
„Ich warte auf dich, Danielle Bidois! “, flüsterte mein Traum ...
***
Die Nacht über blieb ich in der Krankenstation. Doch weil die Ärzte meine Krankheit als eine Psychose durch überreizte Fantasien abtaten, wurde ich am nächsten Morgen entlassen. Meine Worte, dass der Tod an Bord der Titanic fuhr, löste nur verständnisloses Kopfschütteln oder unterdrückte Heiterkeit aus.
Da meine Entlassung aus dem Krankenbereich sehr früh am Morgen erfolgte, bemerkte weder Astor noch Madeleine etwas davon. Und ich versuchte, mich zusammenzunehmen und mir nichts von den Schrecken anmerken zu lassen, die ich gesehen hatte. Für Madeleines Zustand wären meine Ängste Gift gewesen.
Es war Samstag, der 13. April 1912.
Weder am Mittagstisch noch während des Abendessens ließ sich Damian de Armand im Speisesaal blicken. Erst im Rauchsalon tauchte er wie ein Schatten auf. Astor zündete sich gerade eine von den Havannas an, die ihm Benjamin Guggenheim angeboten hatte. Obwohl Damian eine liebenswürdige Miene zur Schau trug, überkam mich bei seinem Anblick ein unheimliches Frösteln. Nur ich kannte sein wahres Gesicht. Und nur ich wusste, wer sich hinter der Maske eines galanten französischen Marquis verbarg.
Seine Bitte, in der Runde Platz nehmen zu dürfen, konnten Astor und Guggenheim nicht abschlagen. Ich wäre am liebsten aus dem Rauchsalon geflohen. Doch eine unsichtbare Kraft bannte mich an meinem Platz fest.
„Dies ist der Gentleman, der mir den Blauen Diamanten abschwatzen möchte.“ stellte Astor den Marquis vor. Guggenheim lächelte verbindlich.
„Bei einem solchen Kauf hätten Sie mich als Konkurrenten, Marquis“, sagte er dann. „Wenn Jay Jay sich von diesem einmaligen Juwel trennen wollte, könnte er von mir den doppelten Kaufpreis bekommen.“
„Der Blaue Diamant hat einen Preis, der so hoch ist wie alles, was Sie besitzen, Mister Guggenheim.“ erklärte Damian.
„Aber wir wollen doch nicht übertreiben, mein Bester.“ Der Milliardär lachte.
„Wie viel ist Ihnen ihr Leben wert, Mister Guggenheim?“, fragte Damian direkt.
„Jedenfalls nicht so viel, dass ich dafür das Leben eines Bettlers führen würde.“ gab Benjamin Guggenheim zurück. „Wenn ich sterbe, dann will ich mit Stil diese Welt verlassen. Ein
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