Das Meeresfeuer
Problem, sagte Astaroth. Das ist nun mal wirklich eine
gute Idee. Tz, tz – ihr Menschen seid schon komisch. Je jünger
ihr seid, desto schlauer seid ihr. Und sobald ihr erwachsen
werdet, beginnt ihr –
»Er kann es«, sagte Mike, der keinen besonderen Wert darauf
legte, sich wieder einen von Astaroths endlosen Monologen
über die geistige Verfassung der menschlichen Spezies im
allgemeinen und der einzelnen Besatzungsmitglieder im
besonderen anzuhören. »Also los!«
Er drehte sich um und begann auf den Bug der NAUTILUS
zuzulaufen, so schnell, daß weder Trautman noch einer der
anderen auch nur eine Gelegenheit bekam, ihn zurückzuhalten –
und vor allem so schnell, daß er keine Gelegenheit fand,
darüber nachzudenken, wie wahnwitzig sein Vorhaben war.
Und das war es. Die straff gespannte Kette vibrierte und
zitterte unter seinen Händen und Füßen, und der Stahl war so
schlüpfrig, daß er kaum Halt daran fand.
Dazu kam, daß die Kette keineswegs still dalag. Unter der
LEOPOLD befanden sich mehr als tausend Meter Wasser, so
daß das Schiff nicht wirklich irgendwo hatte festmachen
können, sondern nur Treibanker geworfen hatte, die sich
langsam, aber doch spürbar in der mächtigen unterseeischen
Strömung bewegten. Mike biß die Zähne zusammen und
kletterte langsam, aber sehr gleichmäßig weiter. Er versuchte
mit aller Gewalt, nicht daran zu denken, was ihm passieren
konnte, wenn er etwa den Halt verlor und abrutschte – mit dem
einzigen Ergebnis natürlich, daß er praktisch an nichts anderes
mehr dachte. Ein Sturz aus zehn oder zwölf Metern Höhe ins
eisige Wasser war noch das mindeste, womit er rechnen mußte,
und selbst das war schon ein tödliches Risiko. Auch wenn er
nicht auf dem stählernen Rumpf der NAUTILUS aufschlug und
sich dabei alle Knochen im Leib brach, war das Wasser hier so
kalt, daß er nur wenige Minuten darin überleben konnte.
Er hatte die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht, als er
doch nach unten sah – und direkt in Singhs Gesicht blickte, der
keine anderthalb Meter unter ihm an der Ankerkette
heraufkletterte.
»Singh!« rief er erschrocken. »Was fällt dir ein?!«
Singh antwortete nicht darauf
– und Mike sparte es sich,
Singh Vorwürfe zu machen oder ihm gar den Befehl zum
Umkehren zu geben. Das eine wäre sinnlos, und das andere
würde er ignorieren. Singh war nun einmal neben allem anderen
auch sein Leibwächter, und er würde ihn nie in einer solch
gefährlichen Situation allein lassen, wie sie nun an Bord der
LEOPOLD herrschte. Und wenn Mike ganz ehrlich zu sich war,
dann war er im Grund sogar sehr froh, nicht allein zu sein.
Immerhin war er drauf und dran, ein Kriegsschiff mit einer
Besatzung von Hunderten von Soldaten zu entern.
Nicht ganz, flüsterte eine Stimme in seinen Gedanken.
Astaroth. Auch der Kater nahm seine Aufgabe offensichtlich
ernst und achtete genau darauf, was Mike tat. Sie beginnen die
LEOPOLD zu verlassen. Auf der anderen Seite des Schiffes hat
ein kleiner Kutter angelegt. Winterfeld hält Wort – er nimmt nur
die Männer mit, die ihn freiwillig begleiten. Aber paß trotzdem
auf. Es sind nicht gerade wenige.
»Wo ist Winterfeld?« fragte Mike. »Und vor allem Serena?«
Ich weiß es nicht, gestand Astaroth. Auf dem Schiff herrscht
ein furchtbares Chaos. Noch schlimmer als in deinem Kopf...
Mike seufzte, sagte aber nichts mehr. Astaroth war nun einmal
unverbesserlich. Mike konzentrierte sich darauf, Hand über
Hand weiter an der Kette emporzuklettern.
Sie hatten den allergrößten Teil der Strecke geschafft, als
plötzlich ein so harter Ruck durch die Kette lief, daß Mike um
ein Haar den Halt verloren hätte. Im letzten Moment klammerte
er sich fest, und auch Singh blieb nur mit Mühe dort, wo er war.
Die Kette zitterte und bebte immer stärker – und begann nach
oben zu gleiten.
Ein eiskalter Schrecken durchfuhr Mike, als er begriff, was
das bedeutete. Die LEOPOLD hatte begonnen, die Anker
einzuholen! Entsetzt blickte er nach oben. Sie wurden jetzt viel
schneller hochgezogen, als sie hatten klettern können, und am
Ende dieses Weges wartete eine tödliche Gefahr auf sie
–
nämlich die vergleichsweise winzige Öffnung, durch die die
Ankerkette eingeholt wurde! Noch ein paar Augenblicke, und er
würde einfach abgestreift werden oder von der starken Winde
mit nach innen gezogen und zerquetscht. »Spring!« schrie
Singh. Und Mike sprang. Er dachte nicht darüber nach, was er
tat; hätte er das getan, wäre er vor Schreck
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