Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
wollen, wurden in den letzten Jahren entwickelt. Vor allem die angelsächsischen Länder, aber auch die Skandinavier, experimentieren mit »New Deal«-Projekten, in denen die »Klienten« Verträge unterzeichnen, die ihre individuelle Verantwortung bekräftigen. Meist werden solche komplexeren Formen des Sozialstaats von den Traditionalisten, die die Welt nur in Opfer- und Täter-Kategorien sehen können, wütend attackiert. Aber sie sind die einzig richtige Antwort auf die evolutionäre Herausforderung, vor der der Sozialstaat steht. Ohne die Befolgung von Regeln (compliance) ist der Ruin der sozialen Transfersysteme unausweichlich. Ohne Elemente der Prävention lassen sich weder Renten- noch Gesundheitssysteme auf Dauer nachhaltig gestalten.
Die deutschen Hartz-Gesetze sind ein gutes Beispiel für eine richtige Reform, die an ihrer Umsetzung und an der Kommunikation scheitert. Mit diesen Gesetzen wurde in die Sozialtransfers eine stärkere Eigenverantwortung eingebaut. Empfänger staatlicher Leistungen hatten nun Bedingungen zu erfüllen. Während vor der Reform das Lebensminimum einfach »nach Lage« ausgeteilt wurde – wenn jemand arm und alkoholkrank war, erhielt er Sozialhilfe –, sah man Sozialhilfeempfänger von nun an als »Kunden mit Talent«, um deren Arbeitsfähigkeit man sich bemühte. Die Abmachung lautete: »Tu was für deine Qualifikation, und wir bezahlen dir die Miete. Du hast eine Verantwortung gegenüber dir
selbst – aber auch gegenüber allen anderen, deren Steuergelder du konsumierst.« Neuerdings machen die Arbeitsagenturen mit ihren »Klienten« sogar Tests, die die sozialen Kompetenzen einschätzen sollen. Prompt ging eine Empörungswelle durchs Netz: »Hartz-Empfänger zu Psycho-Tests gezwungen!«
Der Tsunami an vernichtender, meist ideologischer Kritik, der in der Öffentlichkeit gegen die Hartz-Gesetze losbrach (und eine neue reaktionär-sozialistische Partei konstituierte, die PDS), macht es heute unmöglich, rational und konstruktiv über dieses Projekt zu diskutieren. Natürlich waren viele Details der Reform dilettantisch – schwerfällige bürokratische »Arbeitsämter« zu Servicecentern umzubauen ist eine Titanenaufgabe. Viele Instrumente wie Minijobs und Ein-Euro-Jobs erwiesen sich als, nun ja, verbesserungsfähig. Das richtige Verhältnis zwischen Anreiz und Strenge zu finden ist immer und überall schwierig. Aber obwohl die Reform positiv auf die Arbeitslosenzahlen wirkte, wurde das Ganze zum Symbol angeblicher »sozialer Kälte«. Dabei ging es genau um das Gegenteil: um die verstärkte Aufmerksamkeit für die Situation der an den Rand Gedrängten und von der Teilhabe an der Gesellschaft Ausgeschlossenen. Um eine vielschichtigere Fürsorge als die, die nur Geldtransfers zur Verfügung stellt! Die Konsequenz der Kritik ist jedenfalls, dass die öffentliche Debatte um die Zukunft sozialer Systeme nahezu eingestellt wurde. Obwohl man sich genau das nicht leisten kann!
Ein anderer möglicher Weg eines lernenden Sozialstaats ist das »Social Funding«. Dabei tritt der Staat nicht mehr als alleiniger Problemlöser, sondern als Vermittler, Moderator und Agent sozialer Problemlösungsstrategien auf. Die Erkenntnis dahinter lautet: Staatliche Systeme sind oft ineffektiv, aber private Systeme nicht automatisch besser. So hat zum Beispiel die englische Regierung einen üppig ausgestatteten Sozialfonds ins Leben gerufen, der private Initiativen mit marktwirtschaftlichen Kriterien fördert, aber auch kontrolliert und »benchmarkt«. Zum Beispiel: In einem Gefängnis für jugendliche Straftäter sind die Rückfallquoten besonders hoch. Das kostet den Steuerzahler Geld, erhöht die öffentliche
Unsicherheit und verschärft soziale Probleme. Eine private Firma, die sich zutraut, die Rehabilitation der Straftäter besser zu gestalten, wird beauftragt, die Rückfallquote zu senken. Dafür gibt es einen Geldbetrag, den der Staat an den eigenen Programmen einsparen kann. Wenn es der privaten Gruppe gelingt, die Rückfallquote über längere Zeit unter einen bestimmten Wert zu senken, gibt es eine Bonuszahlung – und neue Aufträge in anderen Einrichtungen.
Solche Modelle verwischen die Grenze zwischen staatlichem und privatem Sektor. Pragmatisch-experimentell werden die Sozialsysteme auf den Prüfstand gestellt und gleichzeitig weiterentwickelt. Was funktioniert? Was setzt die richtigen, was die falschen Anreize? Wo geht der Schuss nach hinten los? Wo können wir lernen, wie es besser
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