Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
geht? In der Welt der sozialen Komplexität wird es dabei weder einfache noch perfekte Lösungen geben. Nur Annäherungen …
Eine der schwierigeren Herausforderung wird sein, ein Gesundheitssystem zu entwickeln, das den Vorsorgegedanken als Effektivitätsmotor integriert, ohne sozial zu selektieren. Ausgerechnet dort, wo wir am direktesten betroffen sind – in den Belangen des eigenen Körpers –, verhalten wir uns leichtfertig und ignorant. Dies zu ändern funktioniert nicht allein mit Zwang, nicht über schlichte Appelle und nicht allein aufgrund von Informationen. Es geht nur in einem Zusammenspiel von cleveren Medizinkonzepten mit einer ordentlichen Portion realistischen Drucks, kombiniert mit Verantwortungsbereitschaft »von unten«. Wir brauchen eine Gesundheits-Emanzipationsbewegung, die ein neues »Mem«, das der Prävention, schafft und verbreitet. Und genau diese Bewegung formiert sich derzeit. Sven Kuntze schreibt in seinem wunderbaren Buch »Altern wie ein Gentleman«:
»Wir werden uns eindeutig und ohne nennenswerte Ausnahmen für eine der asketisch-sportlichen Varianten entscheiden müssen, denn der aktive Alte kommt die Gemeinschaft billiger als sein bequemer Altersgenosse. Die Gesellschaft hat meiner Generation gegenüber das Recht, auf einem gesunden, die eigenen
Ressourcen vernünftig einsetzenden Lebensstil jedes Einzelnen zu bestehen. Anderenfalls werden die Kosten für ärztliche Versorgung, Rehabilitation, Pflege und Betreuung aus dem Ruder laufen und schließlich unbezahlbar sein.« 7
Um die Gesundheitssysteme selbst zu verändern – genauer: um sie von Krankheits- in Gesundheitssysteme zu transformieren –, können wir uns von anderen Ländern und Erfahrungen inspirieren lassen. Die Norweger gehören heute zu den gesündesten Menschen der Welt, obwohl oder weil dort die Anzahl der durchschnittlichen Arztbesuche bei zwei im Jahr liegt (in Deutschland und anderen Industrieländern zwischen 10 und 20!). Dieser Erfolg geht auf eine geschickte Kombination, oder besser »Verschränkung«, von Soziotechnik und Technik zurück. Internet und Telefon werden in Norwegen intensiv für Ferndiagnostik benutzt. Die Praxis ist eher für akute Fälle da, auch deshalb, weil in den weiträumigen norwegischen Landschaften oft große Distanzen zurückzulegen sind. Gleichzeitig haben Norweger »Krankheit« jedoch anders memetisch codiert als zum Beispiel Deutsche. Sie sind nicht gern krank. Und sie reden nicht gern über Krankheit.
Wie bitte? Wer ist denn »gern« krank? Die Gesundheitspsychologie sagt uns, dass dies sogar der Schlüssel zu vielen Krankheiten ist – zumindest zu ihrem Verlauf. Pillen und Behandlungen sind Kommunikationsakte, Praxen und Krankenhäuser soziale Orte. Viele Ältere in den großen Städten gehen zum Arzt, um nicht zu vereinsamen. Oft sind Krankheiten Hilferufe, Kommunikationsversuche. Kranksein befriedigt die Sehnsucht nach menschlicher Nähe. Wer krank ist, bekommt jene Zuwendung und Aufmerksamkeit, die er sonst vermisst. (Verstärkt wird das durch eine Medizinindustrie, die das Leben zunehmend patholog isiert, sowie die Medien, in denen über Aufmerksamkeitsressourcen verhandelt wird.)
Wir könnten uns auch ein Beispiel an den Japanern nehmen. Dort gibt es arme Alte, einsame Alte, vernachlässigte Alte. Aber Rojin Power – die Macht der Alten – gibt den Alten eine andere Rolle in der Gesellschaft, und das hat Rückwirkungen auf die Körper-
und Gesundheitsbilder. Alte Japaner kümmern sich überdurchschnittlich oft um die Enkel, treiben deutlich mehr Sport als alte Menschen in anderen Ländern, und sie werden steinalt. Sie leben nach dem Prinzip der »compressed mobidity«, der kurzen Altersleidensphase, weil es, neben einer besseren Ernährungskultur, eine Kultur der Vorsorge und Fürsorge gibt, in der nicht nur Forderungen gestellt werden. Ein dichtes Netz von Gesundheitszentren, gut ausgestatteten Alters-Gemeinschaften, Hospizen und Altenclubs durchzieht die japanische Gesellschaft.
Eine gute Gesundheitspolitik basiert also immer auf Kooperations- statt auf Delegationssystemen. Jeder trägt seinen Teil bei, damit alle gesund bleiben. Das »Endprodukt« – die Gesundheit – ist allerdings nicht leicht zu erkennen. Wer gesund ist, bleibt in gewisser Weise unsichtbar. Das macht es in diesem Bereich so schwer, vernünftige Feedback-Schleifen zu entwickeln. Wenn das Feedback die Krankheit ist, ist es schon zu spät, und außerdem gerät man in Gefahr, die Schwachen zu
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