Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
verdichtete, gewachsene Städte handelt. Geoffrey West vom Santa Fe Institute in New Mexico fand heraus, dass die Verdoppelung einer bestimmten Stadtgröße zu einem 15 Prozent geringeren Energieverbrauch führt. Und ein Artikel des »New Scientist« vom November 2010 vermeldete, dass mit Ausnahme der chinesischen Metropolen wie Shanghai und Peking und einiger extrem weiträumiger Städte wie Houston, Texas, in allen Metropolen der Welt die Einwohner weniger CO 2 pro Kopf produzieren als die Landbewohner des entsprechenden Landes. Dies liegt unter anderem an der deutlich geringeren Kilometerzahl, die Stadtbewohner mit dem Auto zurücklegen. Der Benzinverbrauch sinkt mit der Dichte der Bevölkerung, was sich mit der beginnenden Elektromobilisierung fortsetzen dürfte.
Stadt und Dorf
Städte »entwurzeln« die Menschen – aber in der Stadt werden auch die Würfel des individuellen Schicksals neu gemischt. Die Stadt erzwingt und fördert kulturelle Integrationsleistungen: Die Bedingung ihrer Existenz ist eine Soziotechnik der Toleranz, die Unterschiede nicht nur zulässt, sondern kulturell überformt. Die Klagen über die »Anonymität der Großstadt« werden dennoch niemals abreißen. Doch »Anonymität« ist genau der Grund, weshalb Großstadtleben bereichernd ist – oder sein kann. Anonym sein heißt ja, nicht »erkannt« zu werden, im Sinne der Zuschreibungen, Einordnungen, Festlegungen, die wir in unseren familiären und sozialen Netzwerken erfahren. »Das Laster der Kleinstadt ist der Klatsch, das Laster der Großstadt Gleichgültigkeit.« Dieses Zitat von Tom Wolfe kann man auch anders interpretieren: Gleichgültigkeit kommt von »gleich gültig«, und das ist die Basis der Wahlmöglichkeiten. In einem Haus zu leben, in dem keiner den Nachbarn kennt, scheint im ersten Moment »unmenschlich«. Aber die Einzelnen sind nur selten wirklich allein. Sie entkoppeln nur ihre Bindungen, Emotionen, Freundschaften, Netzwerke vom physischen
Ort. Wer in einem Milieu lebt, in dem jeder jeden kennt, gerät in unausweichliche Konflikte, egal wie »gut gemeint« diese Nähe auch sein mag. Wohngemeinschaften mit ideologisch-kuscheligem Anspruch gehen nach kurzer Zeit in die Brüche. Jede Nachbarschaft, in der »viel gewollt wird«, ist krisenanfällig. Anonymität hingegen gestattet den zurückgelehnten, gelassenen, subjektiven Blick auf die vielfältige Welt der Menschen.
Die Stadt ermöglicht tausendfache Lebensnischen. Minderheiten und Abweichler, Kreative und Spinner, Bohemiens und Leistungsmenschen können hier nicht nur überleben, sondern gedeihen. Städte sind reich, weil in ihnen verdichtete Konkurrenzsituationen existieren. Jeder will den anderen übertreffen, jeder will ein Stück vom Kuchen der Aufmerksamkeit und Eitelkeit. Städte sind deshalb ökonomisch so erfolgreich, weil man in ihnen Reichtum demonstrieren kann, ohne ihn gleich abgenommen zu bekommen. Und weil die Anzahl der Verwandten, Freunde und Bekannten, die kommen, um ihren Anteil zu kassieren, meist geringer ist als in der guten alten Dorfgemeinschaft.
Ich selbst bin mein Leben lang zwischen Dorf und Stadt gependelt, weil ich auf keine der Welten verzichten wollte. Für die Stadt habe ich mich entschieden, als unsere Kinder ins schulpflichtige Alter kamen und wir eine Weile auf dem Land lebten. Uns fiel plötzlich auf, dass die Kinder auf dem Land meist stumm waren. Wenn sie uns besuchten, sagten sie kein Wort. Man musste sie regelrecht zwingen zu antworten. Währenddessen quasselten unsere Kinder unentwegt vor sich hin. Diese Peinlichkeit mussten wir beenden (inzwischen haben sich unsere Kinder in ganz normale, meist stumme, oft aber auch quasselnde Teenager verwandelt).
Aber das Land von heute ist nicht mehr das Land von gestern. Ältere, Wohlhabende, Familien ziehen wieder hinaus aufs Land, ein verändertes Land, das nichts mehr mit den sprichwörtlich dörflich-engen Strukturen zu tun hat. Ob am Alpenrand, in Cornwall oder Wales, in Umbrien, der Toskana, in Südfrankreich, Südschweden, Südtirol oder auf den Mittelmeerinseln, überall
haben sich in den vergangenen Jahrzehnten verstädterte Landformen entwickelt. Diese Landstriche zogen zunächst gebildete städtische Urlauber als Zweitwohnungsbesitzer an. Nicht wenige dieser »Zweitwohner« kommen dann saisonweise zum kreativen Arbeiten in die Region. Sie renovieren verfallene Häuser, bringen kaufkräftige Freunde mit, die das örtliche Gasthaus bevölkern, misstrauisch beäugt von den stummen
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