Das Megatrend-Prinzip - wie die Welt von morgen entsteht
Anwohnern. Überall tauchen plötzlich WLAN-Anschlüsse in der oberen Leiste des Laptop-Browsers auf, wenn man durch die Dörfer fährt. Im Zusammenspiel zwischen »Ansässigen« und »Zweitwohnern« bilden sich neue kulturelle Angebote, blühen regionale Landwirtschaft und örtliche Gastronomie. Der italienische Designer Andrea Branzi erfand für diese »urbanisierte Ländlichkeit« den Namen »Agriconica« – eine Verschmelzung von »Agrikultur« und »Elektronik«. Agriconica, so Branzi, koexistiert mit der vorhandenen Großstadt, Kleinstadt oder Dorfgemeinschaft und soll, als Mittler zwischen Stadt und Land, helfen, das Überleben der agrarischen Gesellschaft zu sichern, durch seine Verbindung mit hochentwickelten städtischen Einrichtungen.
So wird sich die urbane Entwicklung in den kommenden Jahren in einer seltsamen Schleife bewegen, analog zur »Glokalisierung«. Wir werden vielerorts urban-dörfliche Lebensformen wachsen sehen. Schrumpfen und langsam ausbluten wird der »urban sprawl«, der meist gesichtslose Besiedlungsteppich, in dem sich die Städte, häufig solche mit totem Kern, schier endlos ins Umland ausbreiteten. In den USA signalisiert die Immobilienkrise auch eine langsame Abkehr von diesem Suburbia-Lebensmodell. Die renovierten und ergrünten Stadtzentren ziehen wieder Alte und Familien mit Kindern an, die vorher an den Rand flüchteten. Auch in Europa ist der Siedlungsbrei in den meisten Regionen zum Stillstand gekommen. Gewinner sind verdichtete, überschaubare Mittelstädte mit hoher Lebensqualität.
Greenopolis – die kreativ-grüne Stadt
Städte folgen bestimmten Gesetzen, deren Wirkungen wir mit mathematischen Methoden messen können. Eine Verdoppelung der Einwohner führt zu 15 Prozent mehr Einkommen pro Kopf, 15 Prozent mehr Innovationen, aber auch 15 Prozent mehr Kriminalität und sozialen Problemen. Wenn man diese »Nebenwirkungen« in den Griff bekäme, wäre Verstädterung unter dem Strich ein Gewinnspiel, weil auch die Infrastrukturen, die für eine Stadt mit doppelt so vielen Einwohnern benötigt werden, um 15 bis 20 Prozent (energie-)effektiver und billiger sind, als wenn die gleiche Population verteilt leben würde. 4
Grüne Innovationen, kombiniert mit systemisch kluger Verwaltung, könnten diese Skalierungseffekte sogar noch verbessern. Städte der neuen Art entspannen sich auf vielfältige Weise und wenden sich von allzu radikalem Kommerz ab, der ihre Zentren in eine Kaufhauswüste verwandelte. Eine neue Generation von Stadtlandschaftsdesignern tritt auf den Plan.
Es ist noch nicht lange her, dass Soziologen und Modernisten die »Neue Ortlosigkeit« ausriefen. In einer Welt der elektronischen Verbundenheit sollte der Unterschied zwischen Stadt und Land keine Rolle mehr spielen. In Zukunft, so die Prognose, sei es egal, wo man lebe. Angeschlossen an das Internet könne man genauso gut in einem einsamen Schweizer Gebirgtstal, in Alaska oder Bebra hausen – man bleibe ja per Bildschirm und Mail angeschlossen an die große weite Welt. Aber Menschen bleiben analoge Wesen. Und das Schleifenprinzip der Megatrends wirkt auch hier: Je mehr wir elektronisch kommunizieren, desto wichtiger wird der physische Ort. »Spiked World«, eine Welt mit Zacken oder Spitzen, nannte Richard Florida, der amerikanische Soziologe und Erfinder der »Kreativen Klasse«, 2008 jenen neo-urbanen Konzentrationsprozess, in dem einige Metropolen und Städte-Cluster eine große Magnetwirkung auf die Gebildeten, Kreativen und geistig Hungrigen ausüben.
Kreative Städte bauen auf das, was man mit dem Begriff Flair bezeichnet. Sie inspirieren ihre Bewohner durch Vielfalt. Sie besetzen
die großen Themen der kognitiven Gesellschaft: Design. Geist. Kunst. Sie bilden Orte der Begegnung, der Inspiration, die über sich selbst herausweisen. Sie wirken als Ideenschmieden.
In kreativen Städten blüht ein urbanes Design, das Elemente aller Epochen, von der mittelalterlichen Marktstadt bis zur Bauhaus-Gartenstadt, neu kombiniert. Innenstädte sind nicht mehr nur Vorplätze für Konsumstätten, sondern Performance-Areale für Kunst und Kultur. Verwaltungs- und Bürogebäude sind nicht mehr nur »Sitzflächen«, sondern Kommunikationszentren mit ästhetischen Ambitionen. Hinzu kommen »Leuchtturmbauten« wie das Guggenheim-Museum in Bilbao oder das Einkaufszentrum Bull Ring in Birmingham, die als Kristallisationspunkt dienen können und das Selbstbewusstsein der Städte formulieren.
Kreative Metropolen
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