Das Merkbuch
fehlt das Wort Glanzstoff überhaupt – anders als im Duden 1961, wo es vorkommt, neben Glanzbürste und Glanzkohle, die wiederum zur Poesie einladen, insofern man sich auf Anhieb nichts Genaues darunter vorstellen kann.
Im Innern hat sich das Merkbuch ’55 gegenüber ’54 insofern verändert, als die Seite mit den Stadtwappen von Oberbruch, Kelsterbach, Obernburg, Kassel, Wuppertal nun eine Federzeichnung ersetzt: das Gebäude der Hauptverwaltung in Wuppertal-Elberfeld, davor winterlich unbelaubte Bäume (die den Blick auf die Hauptverwaltung freigeben). Von diesem Hauptgebäude verweisen sechs Linien auf die einst mit ihren Wappen repräsentierten Filialen.
Orte sowie die Werke in Barmen und in Waldniel; diese Namen krönt jetzt regelmäßig ein Emblem, das so etwas wie »Fabrik« darstellt, Sheddächer im Profil und ein Schornstein.
Schwer vorzustellen, welche Überlegungen die Designer des Notizkalenders von einem Jahr zum anderen leiteten. Waren überhaupt Designer (als Spezialisten) am Werk?
Im Innern hat sich die Produktliste der Vereinigten Glanzstoff gleichfalls ein wenig verändert: VGF -Perlon ist dazugekommen sowie Nefalon-Kräuselzwirn aus ebendiesem Material. Die Seite, auf der Glanzstoff-Fäden die Welt umgarnen, ersetzt ein Foto verschiedener Spulen, auf die das Garn der unterschiedlichen Macharten proper aufgewickelt ist und saubere Formen bildet. Zwei wolkenhafte Büschel Zellwolle im Vordergrund helfen das Vorher/nachher-Schema darzustellen: der formlose Stoff, der sich zu wohlgestaltem Zwirn läutert.
Auch in solche Nebenprodukte wie den Notizkalender wird unterdessen mehr investiert: Wenn die Firma Eilers in Bielefeld keine Designer beschäftigte, sondern der Herr Direktor persönlich Anweisungen zur Gestaltung des Kalenders gab – ein Foto zu reproduzieren, war auf jeden Fall deutlich teurer als die Reproduktion einer Federzeichnung, und den Vereinigten Glanzstoff ist das ganz recht.
Kräuselzwirn! Glänzend eignet sich das Wort für komische Effekte: Nach seinem Gespräch mit Dr. Schlögl, seinem Vorgesetzten, über die Bücher der Vereinigten Glanzstoff-Fabriken, erfüllte sein Hirn Kräuselzwirn. Reimt sich sogar!, wie Vater spottet . . .
Der Steckbrief des Kalender-Besitzers – überschrieben Persönliches – enthält wieder eine Telefonnummer für zu Hause: Vater und Mutter leisten sich also wieder eine Telefonverbindung, die Nummer ist 434. – Schon 1954 gab es verso eine Seite für Wichtige Notizen, das wären die Telefonnummern von Arzt, Krankenwagen, Feuerwehr, Polizei; mehrere Leerzeilen für regelmäßig frequentierte Zug-, Straßenbahn- und Omnibusverbindungen. Keine Eintragung von Seiten Vaters. Dafür findet sich hinten in dem Büchlein, in der Notizenabteilung, die Zugverbindung, mit der er am besten von Frkft. nach Hause kommt: Abfahrt 13.04 Uhr – Ankunft Bebra 15.22 Uhr – Abfahrt Bebra 15.50 Uhr – Ankunft Malsfeld 16.27 Uhr – Abfahrt Malsfeld 17.05 Uhr – Ankunft daheim 17.24 Uhr. Zurück ging’s am besten ab 6.58 Uhr, da ersparte er sich das Umsteigen in Bebra und kam um 10.39 Uhr in Frkft. an. Er wird mit Dr. Schlögl abgesprochen haben, wie er die verpassten Bürostunden ersetzt, damit ein voller Bürotag angerechnet werden kann.
Das wissen wir schon aus dem Schluss des Merkbuchs ’54, dass das erste Arbeitskapitel des neuen Jahres Röhm & Haas heißt. Vater schreibt es an drei Tagen hintereinander auf, am 3. Januar, am 4. Januar, am 5. Januar, als wolle er die neue Kapiteleinteilung wieder aufgeben, Röhm u. Haas, D’st. Erst am 6. Januar kehrt er zur neuen Ordnung zurück und lässt das Datumsfeld frei. So bleibt es bis zum 1. Februar. Er wohnt, wie in dem ersten Notizenfeld des Jahres vermerkt, im Darmstädter Hof, der sich in der Rheinstraße 12 befindet, Telefonnummer 3560. Der Auftrag bei Röhm & Haas trägt die Nummer F 2547; der zuständige Herr (der Typus Eckert) bei Röhm & Haas ist über 3071 zu erreichen (wie das zweite Notizfeld des neuen Jahres meldet).
Am 8. Januar zwei der kleinen Rechnungen, Ruth 100, unleserlich 12.50. Dann herrscht vollkommenes Schweigen.
Das Vater erst am 24. Januar aufgibt, Zimmermann, Schmidt, Niederbrechen. Und am 1. Februar schreibt er: an Stadt Limburg gezahlt DM 100; was er am 11. Februar ergänzt durch: an Hotel Stadt Limburg DM 50 gezahlt.
Vater hält sich also gar nicht in Darmstadt, D’stadt., D’st. auf, sondern in Limburg, ein Kapitel, dessen Anfang er geheim hält, in das er stumm
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