Das Midas-Kartell
die Dosis in den Arm.
Daniel starrte mit leerem Blick auf die Nadel. »Wissen Sie, warum er so eine Angst vor Ramirez hat?« Er sah auf. »Weil er ein böser Mensch ist. Nicht wie Sie. Nicht auf die Art böse, wie Sie es sind. Sie werden bezahlt, um etwas zu tun, und dann tun Sie es. Ohne zu fragen, ob es richtig oder falsch ist. Alphonse Ramirez ist nicht so. Er ist ein böser Mensch, weil er so tut, als wäre er gut, nur darf man das nicht glauben. Auf gar keinen Fall darf man das glauben. Wissen Sie, was für schreckliche Sachen er getan hat?«
»Ich nehme stark an, Sie werden es mir gleich erzählen.«
Daniels Blick verlor sich im Nichts. Er war wieder in dem Dorf am Stadtrand von San Antonio. Es roch nach Mais und verbranntem Holz. Die Frau vor ihm rührte mühsam in ihrem Topf, den groÃen Holzlöffel unter dem Arm. Der eine Arm war am Ellbogen amputiert, der andere gleich unterhalb der Schulter. Beide Beine fehlten vom Knie abwärts. Sie rutschte auf dem Hintern über den Boden und packte mit den Zähnen einen Holzteller, den sie vor Daniel hinstellte. Er fühlte sich unbehaglich und versuchte zu helfen, doch sie schüttelte nur heftig den Kopf. Der flackernde Blick aus ihren Augen lieà ihn zurückweichen, und er setzte sich auf den Boden.
Es war nicht leicht gewesen, sie zu finden. Der Name Ramirez wirkte wie ein gefährlicher Krankheitserreger. Wenn Daniel ihn nannte, zuckten die Menschen zurück. Es brauchte viel Geduld und eine beträchtliche Summe Bargeld, bis ihm ein Cafébesitzer schlieÃlich einen Kontakt nannte, einen Mann, der vielleicht mit ihm reden würde, ein Bauer in einem Dorf namens Dos Santos. Danny musste zweimal hinfahren, und schlieÃlich erzählte ihm ein Händler, dass der Mann vor zwei Jahren gestorben sei, dass es aber eine Tochter gebe, und er werde sie benachrichtigen. Danny solle in zwei Tagen wiederkommen, dann würde er ihn wissen lassen, ob sie mit ihm sprechen wolle.
Die Frau bugsierte den Topf mithilfe eines Flaschenzugs vom Feuer weg und klemmte sich dann umständlich eine Schöpfkelle unter den Arm, die sie in den dickflüssigen Inhalt tauchte. Daniel hielt ihr seinen Holzteller hin und bedankte sich, was sie mit einem Nicken quittierte. Sie aÃen schweigend. Die Frau hatte ihren Teller auf einen Betonwürfel vor sich gestellt, um ihn zu erhöhen; das Kinn auf die Platte gestützt benutzte sie den Stumpf ihres rechten Arms, um sich den Eintopf in den Mund zu schieben â eine mühsame Prozedur, die ziemlich viel Sauerei verursachte. Daniel war es peinlich, doch die Frau zeigte sich gänzlich ungerührt. Als sie fertig war, lehnte sie sich mit dem Rücken an die Wand und rülpste zufrieden.
»El dinero, tiene el dinero?« Das Geld, haben Sie das Geld? Die Worte waren kaum zu verstehen. Man war mit ihrer Zunge ebenso verfahren wie mit ihren GliedmaÃen.
»Natürlich«, antwortete Daniel, öffnete seinen Rucksack und zog den Umschlag mit den zweitausend Dollar heraus, um die sie ihn gebeten hatte. »Soll ich das auf einer Bank für Sie einzahlen?«
»Nein.« Sie zuckte die Achseln und wand ihren Kopf von einer Seite auf die andere. »Ich habe schreckliche Krämpfe. Das kommt vom Kriechen.« Sie hielt inne und sah ihn an. »Legen Sie es unter das Bett.«
Daniel stand auf und schob den Umschlag unter die Matratze. Dann kam er zurück und setzte sich mit verschränkten Beinen auf den Boden.
»Ein sanftes Ruhekissen«, fügte die Frau hinzu.
Daniel verzog irritiert das Gesicht.
»War nur ein Witz, Señor. Sind Sie immer so ernst?«
Daniel entspannte sich ein wenig. »Ich glaube schon, ja«, sagte er mit einem Lächeln. »Aber lassen Sie mich doch wenigstens ein bisschen Kaffee mahlen«, bot er an, griff nach der alten Peugeot-Mühle, die auf einem niedrigen Regal stand, und füllte eine Handvoll Kaffeebohnen hinein.
Während er Kaffee machte, erzählte die Frau ihre Geschichte, zunächst zögernd, als wäre sie zerbrechlich und könnte ihr entgleiten und zerbersten, wenn sie nicht aufpasste.
Ihre Eltern hatten Kaffee und ein paar Obstsorten auf ihrem Stück Land angebaut, gerade genug für den eigenen Bedarf und um noch etwas an den GroÃhändler in der Stadt verkaufen zu können. Als sie sieben war, kam ein Fremder in das Dorf, ein Mann in weiÃem Anzug und einem goldenen Seidenschal, der
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