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Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)

Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)

Titel: Das Ministerium der Schmerzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dubravka Ugresic
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offen klaffenden Morgenmantel steht Papa mitten im Zimmer und gießt einen Schwall von Worten aus. Die Worte zerschellen an den Wänden wie Kamikazefliegen und hinterlassen kleine Blutflecken.

    Ich dachte auch an Goran. Er nahm ebenfalls eine Kränkung mit, schmuggelte sie wie eine Kostbarkeit über die Grenze, bis nach Japan. Auch ihn vergiftete die Erfahrung des Ausgeschlossenseins »wie Galle« (
wie Galle
, schreibt Papa an einer Stelle).
Expunge – eliminate – delete – expel – excommunicate

ban – interdict – keep out – shut out from – prohibit from – banish – erase – exclude … Eene meene Maus, und du bist raus.
    Goran hatte aufgehört, mich zu lieben, deswegen wollte ich nicht mit ihm gehen. Das war leise gekommen, unmerklich, von selbst. Goran kämpfte allerdings dagegen an. Er kniff sich ins Herz und beschleunigte seinen Puls, denn er wollte nicht glauben, dass alles so einfach ist, dass sich die Liebe über Nacht aus dem Herzen stiehlt. Meine Stelle nahm die Kränkung ein, sie hatte sich unbemerkt in sein Herz geschlichen. Vielleicht trage auch ich sie, mag sein, dass sie sich auch in mir eingenistet hat. Wir wissen nicht, wo in uns Risse sind und wann das Gift der Kränkung in unsere Adern dringt.
    Goran war aus demselben Stoff gemacht wie Papa. Auch er wird, wo immer er sich befindet, in Gedanken jeden Sieg an die Adresse seiner »Stadt N.« melden. Und je größer seine Erfolge sein werden, umso tauber wird dafür sein Adressat sein. Lediglich für seine Misserfolge wird dieser ein offenes Ohr haben. Das wird beide nur in ihrer Überzeugung bestärken, dass sie im Recht sind. Auf diese Weise teilen sich die Kränker und die Gekränkten die Heimat. Mich beschlich der Gedanke, dass in diesem ehemaligen Land vielleicht nie andere als die Beleidiger und die Beleidigten gelebt hatten. Nur dass sie gelegentlich die Plätze tauschten.

    Wie konnte man nach alldem daran denken, von der Vergangenheit freizukommen. Ich verlangte von meinen Studenten, sich mit der Vergangenheit abzufinden, ich glaubte, nur so könnten sie sich von ihr lösen. Ich bot ihnen ein schmerzloses Stück Vergangenheit an, wollte sie beschützen wie Eltern ihre Kinder, wie die Kinder ihre Kinder, wie meine Mutter mich, wie Papa Goran. Aber eine Befreiung gibt es nicht. Es gibt nur das Vergessen, bei dem uns all die gnädigen Scheibenwischer inunseren Köpfen helfen. Jeder von uns schleppt einen Schrank mit sich. Und in jedem Schrank schlummern Skelette. Und diese kommen eines Tages heraus, allerdings meistens in einer verkleideten, erträglichen Form wie jene Urkunden, die aus Papas Regal hervorquollen. Die Vergangenheit ist unsere »Installation«, ein Hobbywerk mit künstlerischem Anspruch. Eine kleine Retusche hier, eine kleine Retusche dort. Die Retusche ist unsere Lieblingstechnik. Jeder ist Kustos seines eigenen Museums. Wir finden uns mit unserer Vergangenheit nur ab, wenn wir sie beherrschen, wenn wir den Finger in das Loch im Deich stecken wie der berühmte Junge Hans Brinkers, der Holland vor der Flut rettete. Den Finger ins Loch im Deich stecken. Fotos in einer Vitrine aufstellen. Regelmäßig Staub wischen. Gelegentlich etwas ändern. Etwas in den Müll werfen. Etwas aufdecken, etwas anderes verbuddeln. Flecken entfernen. Die Zunge im Zaum halten. Sie als Waffe einsetzen. Das eine denken, das andere sagen. In wohlklingende Floskeln verpacken. So reden, dass nichts gesagt wird. So sagen, dass nichts verstanden wird.
    Ich empfand Ekel beim Gedanken an all diese Wiederholungen, Ekel vor Worten, vor Beschuldigungen und Rechtfertigungen, vor dem Unglück, das wie ein Virus übertragen wird, vor diesen Nabelschnüren, die sich um uns wickeln und aus uns eine schreckliche, schmerzerfüllte, blutige Masse machen, in der wir alle strampeln: Eltern, Kinder, Enkelkinder, Opfer und Täter, Beleidiger und Beleidigte, Wärter und Gefangene, Richter und Verurteilte …

    Ich brauchte Luft. Papas Notizbuch landete auf dem Boden, schnell warf ich mir meinen Mantel über und stürzte hinaus. Nach einem Spaziergang durch die Zeedijk ging ich zu
De verdwenen minnaar
, eine Bar, wo ich manchmal Kaffee trank.Ich setzte mich an die Theke und bestellte etwas. Das Gemurmel der Leute und die warme Ausdünstung der menschlichen Körper taten meinen angespannten Nerven gut. Neben mir saß ein Mann. Wir tauschten einige Worte aus, tranken einige Gläser, warfen uns einige Blicke zu, berührten uns leicht. Etwas später sollten wir

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