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Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)

Das Ministerium der Schmerzen (German Edition)

Titel: Das Ministerium der Schmerzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dubravka Ugresic
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Uroš«, sagte ich.
    »In jedem Jahrgang nimmt einer sich das Leben«, sagte sie.
    »Wie meinst du das?«
    »Auch bei uns brachte sich einer während des Studiums um …, der …, wie hieß er noch … Erinnerst du dich vielleicht?«
    »Nenad.«
    »Er war nach Indien gegangen, und kurz nach seiner Rückkehr hat er sich das Leben genommen. Sein Vater war General der jugoslawischen Volksarmee. Aber ich glaube eher, er war drogenabhängig geworden. Jesus, wenn ich nur daran denke, wie viele damals nach Indien pilgerten! Wir beide sind zum Glück nicht diesen Mantras und Chakras auf den Leim gekrochen, nicht wahr?«
    »Konnten Sie etwas Näheres über diesen Studenten erfahren?«, unterbrach Cees seine Frau, wofür ich ihm dankbar war.
    Ich erzählte alles, was ich wusste.
    »Wissen Sie«, sagte Cees, »es ist mir wirklich unangenehm, Ihnen das sagen zu müssen, aber über Sie sind Beschwerden von Studenten eingegangen.«
    Cees’ Bemerkung kam unvermittelt wie ein Hieb in die Magengrube und verschlug mir den Atem.
    »Was für Beschwerden?«
    »Die Studenten haben bei uns das Recht auf Beschwerde, wenn sie meinen, ein Lehrer sei nicht so, wie er sein sollte. Und wir sind verpflichtet, ihre Meinung ernst zu nehmen. Die Studenten sind insgesamt nicht damit zufrieden, wie Sie Ihre Vorlesungen gestalten.«
    »Das kann nicht wahr sein!«, brachte ich hervor.
    »Leider doch.«
    »Worüber beschweren sie sich?«
    »Sie bemängeln, dass in Ihrem Unterricht das Fachliche zu kurz kommt, dass viel Zeit vergeudet wird …«
    »So?«
    »Dass Sie kein klares Programm haben und Ihre Vorlesungen chaotisch sind. In einer Beschwerde heißt es, die Studenten säßen oft mit Ihnen in Cafés herum. Sie bestünden darauf.«
    »Wer hat sich beschwert?«
    »Das darf ich nicht sagen«, sagte Cees ruhig.
    »Unmöglich, dass alle sich beschwert haben!«, rief ich aus, die Tränen zurückhaltend.
    Cees antwortete nicht. Ines versuchte mich zu trösten. Ich sei blind, ich wolle nicht einsehen, dass die Dinge sich geändert hätten, sie hielten es hier, in Holland, mit niemandem, sähen aber, dass
eins plus eins doch zwei sei
. Ich hätte ein zu großes Herz und sei mit den Studenten zu intim geworden.
Aber man wisse doch: Wer sich mit Kindern schlafen legt, wacht bepinkelt auf …
Das Wort
bepinkelt
und die Art, wie Ines es aussprach, rief in mir eine starke, fast körperliche Abneigung gegen sie hervor. Sie sagte weiter, ein Vorschlag – Cees habe ihn persönlich formuliert – sei schon dem holländischen Bildungsministerium zugeleitet worden. Danach sollten in den holländischen Slawistischen Abteilungen unsere Sprachen und Literaturen endlich getrennt werden, was übrigens auch von der
politischen Realität diktiert
würde. Akzeptiere man Cees’ Vorschlag, würden vom Herbst an in der Slawistik in Amsterdam kroatische und in Groningen, wo es auch schon die Bulgaristik gebe, serbische Sprache und Literatur gelehrt werden. Alles in allem bestünden für mich im Herbst gute Chancen. Nein, sie hätten niemand anderen in Aussicht genommen, absolut niemanden. Sie selbst könne es nicht wegen der Kinder, aber auch wegen eines Gesetzes, wonach Eheleute nicht in der gleichen Abteilungtätig sein könnten, zumal Cees jetzt auch noch Leiter geworden sei. Außerdem habe sie noch nicht diese Doktorarbeit runtergekritzelt. Ich solle an mich denken, man würde nicht jünger. Ich gedächte doch nicht etwa, nach Zagreb zurückzugehen! Dort würde man mir keine Arbeit geben, ich wisse doch selbst, wie die
Unsrigen
seien. Wer einmal weggeht, sei für immer fort. Was letzten Endes in Ordnung sei. Man könne nicht auf zwei Stühlen sitzen, selbst wenn man einen noch so großen Popo habe. Genau so sagte sie es,
Popo
, und ich verspürte erneut eine starke körperliche Abneigung gegen sie. Cees schätze mich, aber er entscheide nicht allein. Die Studenten seien viel, viel empfindlicher gegenüber
nationalen Unterschieden
, als ich das eingeschätzt hätte. Sie wundere sich, wie naiv und blind ich für die
politische Realität
sei. Und dann noch dieser unglückselige Serbe, dieser, der sich umgebracht habe, na, dieser Uroš … Man könne sehen, was für schreckliche Dinge diese Kinder mit sich schleppten, selbst dann, wenn sie meinten, allem entkommen zu sein …
    »Wir haben Sie nicht geholt, damit Sie Gruppentherapie betreiben«, sagte Cees.
    »Ich habe keine Gruppentherapie betrieben! Sie wissen selbst, wie unterschiedlich das Bildungsniveau ist. Ich musste von

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