Das Mitternachtskleid
Brian?«
Seufzend trat er etwas näher an das Gitter heran. »Du machst mir doch keine Scherereien, Tiff?«
»Ach was, Brian. Aber du mir auch nicht, oder? Das will ich jedenfalls schwer hoffen.«
Der Feldwebel schloss die Augen und stöhnte. »Du führst doch etwas im Schilde, nicht wahr? Ich wusste es!«
»Lass es mich mal so formulieren«, sagte Tiffany. »Für wie wahrscheinlich hältst du es, dass ich diese Nacht in der Zelle verbringen werde?«
Brian klopfte sich auf die Tasche. »Tja, aber vergiss nicht, ich habe die – « Seine Miene veränderte sich. Es war ein herzzerreißender Anblick. Plötzlich stand er so bedröppelt da wie ein junger Hund, der gerade eine gepfefferte Standpauke bekommen hat. »Du hast mich beklaut!« Als Nächstes sah er sie so flehend an wie ein junger Hund, der sich auf eine noch viel gepfeffertere Standpauke gefasst macht.
Entgeisterung paarte sich mit Ehrfurcht, als Tiffany ihm mit einem Lächeln die Schlüssel zurückgab. »Glaubst du etwa im Ernst, dass eine Hexe einen Schlüssel braucht? Ich verspreche dir aber, dass ich morgen früh um sieben wieder zurück bin. Findest du nicht auch, dass uns unter den gegebenen Umständen mit dieser Regelung beiden geholfen ist? Vor allem, weil ich deiner Mutter ja auch irgendwann das Bein mal wieder frisch verbinden will.«
Sein Blick sagte alles. Hastig steckte er die Schlüssel ein. »Ich frag dich wohl besser nicht, wie du hier rauskommen willst?«, sagte er hoffnungsvoll.
»Ich denke, unter den gegebenen Umständen solltest du dir diese Frage tatsächlich lieber verkneifen.«
Er zögerte kurz, dann grinste er. »Danke, dass du dir das Bein von meiner Mutter ansehen willst«, sagte er. »Es ist ein bisschen lila geworden.«
Tiffany holte tief Luft. »Leider ist es so, Brian, dass wir zwei, du und ich, die Einzigen sind, die sich Gedanken um das Bein deiner Mutter machen. Da draußen gibt es alte Leutchen, die ohne fremde Hilfe weder in einen Badezuber rein- noch aus einem Badezuber wieder rauskommen. Und irgendwer muss Pillen drehen und Tränke brauen und sie den Kranken bringen, die weitab vom Schuss leben. Oder denk nur an Herrn Brecher, der ohne mein Einreibemittel kaum einen Fuß vor den anderen setzen kann.« Sie zückte ihren Kalender, der mit Bindfäden und Gummibändern zusammengehalten wurde, und hielt ihn dem Feldwebel unter die Nase. »Das sind alles Sachen, die ich erledigen muss, weil ich die Hexe bin. Wer soll sie machen, wenn ich sie nicht mache? Die junge Frau Buhlin wird bald Mutter – zum allerersten Mal. Und es werden auch noch Zwillinge, da bin ich mir sicher, das höre ich an den unterschiedlichen Herztönen. Sie hat jetzt schon panische Angst, und die nächste Hebamme lebt nicht nur zehn Meilen entfernt, sie ist leider auch noch vergesslich und ein bisschen kurzsichtig. Du bist Offizier, Brian. Offiziere sind bekannt dafür, dass sie entschlossen zupacken können. Wenn die arme junge Frau sich in ihrer Not also an dich wendet, weißt du bestimmt, was du tun musst.«
Sie durfte mit ansehen, wie sein Gesicht fast jegliche Farbe verlor. Bevor er jedoch eine Antwort stottern konnte, fuhr sie fort: »Aber ich kann dir dann nicht helfen, weil die böse Hexe ja eingesperrt gehört, damit sie sich nicht etwa an einem Spinnrad vergreifen kann! Eingesperrt wegen eines Märchens! Ich befürchte sogar, dass jemand ums Leben kommen könnte. Und wenn ich diesen Menschen sterben lasse, bin ich eine böse Hexe. Aber ich muss ja sowieso eine böse Hexe sein, sonst hättet ihr mich wohl kaum eingesperrt. «
Trotz allem tat er ihr leid. Er war nicht Feldwebel geworden, um sich mit solchen Problemen zu belasten; seine taktischen Erfahrungen beschränkten sich fast ausschließlich auf das Einfangen ausgebüxter Schweine. Durfte sie ihn dafür verurteilen, dass er Befehle befolgte? Schließlich konnte man auch dem Hammer nicht vorwerfen, was der Schreiner mit ihm machte. Aber Brian hatte ein Hirn, der Hammer nicht. Vielleicht sollte er mal versuchen, es zu benutzen.
Tiffany wartete, bis ihr das Poltern seiner Stiefel signalisierte, dass er sich – vernünftigerweise – dafür entschieden hatte, an diesem Abend lieber einen möglichst großen Abstand zwischen sich und der Zelle zu wahren und sich vielleicht außerdem noch ein paar Gedanken über seine Zukunft zu machen. Und schon kamen aus allen Ritzen Größte hervor, die einen untrüglichen Instinkt dafür hatten, wann die Luft rein war.
»Ihr hättet ihm nicht die
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