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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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besorgtes Gesicht, will sagen, ein noch besorgteres als sonst. Sonst sah sie aus wie ein Hamster, dem jemand das Laufrad festhält.
    »Ich bin so froh, dass du gekommen bist, Tiffany. Kann ich dich unter vier Augen sprechen?« Tiffany blickte sich um. Außer ihnen war niemand im Zimmer. » Im Vertrauen «, ergänzte Lätitia und drehte ihr Taschentuch zum Strang zusammen.
    Hat nicht viele Freunde in ihrem Alter, dachte Tiffany. Durfte garantiert nie mit den Dorfkindern spielen. Kommt kaum unter Menschen. Und: heiratet in ein paar Tagen. Ach Gottchen. Von daher wehte also der Wind! Tiffany fiel es wie Schuppen von den Augen. Und auf der anderen Seite Roland: von der Elfenkönigin entführt, jahrelang in ihrem grässlichen Reich festgehalten, ohne zu altern, von seinen Tanten schikaniert, in Angst und Sorge um seinen alten Vater, gibt sich zwanzig Jahre älter, als er ist. Ach Gottchen!
    »Wie kann ich dir helfen?«, fragte sie munter.
    Lätitia hüstelte. »Nach der Hochzeit kommen doch die Flitterwochen«, begann sie, und ihr Gesicht färbte sich zartrosa. »Wie genau läuft so was denn eigentlich ab?«, schloss sie mit einem hastigen, kaum hörbaren Murmeln.
    »Hast du denn keine… Tanten?«, fragte Tiffany. Tanten waren für solche Sachen meistens gut zu gebrauchen. Lätitia schüttelte den Kopf. »Und hast du mal versucht, mit deiner Mutter darüber zu reden?« Lätitia lief hummerrot an.
    »Würdest du etwa über so was mit meiner Mutter reden?«
    »Verstehe. Also dann: Grob gesagt – und ich bin wahrhaftig keine Expertin auf diesem Gebiet …« Doch das war sie. 28 Im Grunde kannte sich jede Hexe damit aus, wie die Menschen auf die Welt kamen und sie wieder verließen. Schon mit zwölf Jahren hatten die älteren Hexen Tiffany ganz allein Geburtshilfe leisten lassen. Außerdem durfte sie schon als Kind beim Lammen helfen. Hexen hatten einfach ein Händchen dafür, wie Nanny Ogg es ausdrückte, auch wenn es in Wahrheit nicht ganz so leicht war, wie es sich anhörte. Sie erinnerte sich an Herrn und Frau Kiepe, ein hochanständiges Ehepaar, das erst nach dem dritten Kind gemerkt hatte, woher dieser Segen kam. Seitdem achtete Tiffany sicherheitshalber darauf, dass sie mit den Dorfmädchen ein Gespräch unter Frauen führte, sobald diese ein bestimmtes Alter erreicht hatten.
    Lätitia hörte ihr so aufmerksam zu, als wollte sie sich anschließend Notizen machen, um für die große Prüfung am Freitag gewappnet zu sein. Fragen stellte sie erst, nachdem Tiffany ihr Pulver schon zur Hälfte verschossen hatte: »Bist du sicher ?«
    »Doch. Ziemlich«, antwortete Tiffany.
    »Hm, so weit komme ich noch einigermaßen mit. Aber ich denke mal, als Junge weiß man sowieso alles darüber … Warum lachst du?«
    »Wie man‘s nimmt«, sagte Tiffany.
    »Hab ich dich gefunden! Ich sehe dich, du Geschmeiß, du Pestilenz, du Höllenbrut!«
    Tiffany schaute in Lätitias großen Spiegel, der ringsum mit pausbäckigen goldenen Putten verziert war, die offenbar ganz erbärmlich froren. Sie sah Lätitias Spiegelbild darin und da – nur ganz schwach, aber doch zu erkennen –, da war das augenlose Gesicht des Tückischen. Seine Umrisse wurden langsam schärfer. Tiffany war sich absolut sicher, dass sie keine Miene verzogen hatte. Das wusste sie genau. Ich werde ihm nicht antworten, dachte sie. Ich hatte ihn fast vergessen. Bloß nicht antworten. Ich darf ihn nicht an mich ranlassen.
    Sie rang sich ein Lächeln ab, während Lätitia aus Kisten und Kästen ihre so genannte Mitgift hervorwühlte, die in Tiffanys Augen aus einem Weltvorrat an Rüschen bestand. Darauf richtete sie ihre ganze Konzentration und versuchte, sich den Kopf mit Tüll, Seide und Spitzen vollzustopfen, um die Worte nicht zu hören, die aus ihm hervorquollen. Die, die sie verstand, waren übel, die, die sie nicht verstand, waren noch übler. Trotz allem drang die schnarrende, heisere Stimme wieder zu ihr durch: Du denkst, du hattest Glück, Hexe. Du denkst, du wirst wieder Glück haben. Du musst schlafen. Ich schlafe nie. Du brauchst immer wieder Glück. Immer und immer wieder. Ich muss nur ein Mal Glück haben. Nur ein Mal, dann wirst du … brennen. Leise fiel das letzte Wort, leise und beinahe sanft – und das machte es noch viel schlimmer als all die rasselnden, kratzenden, knarzenden Worte davor.
    »Weißt du was?«, sagte Lätitia, während sie nachdenklich ein Kleid betrachtete, das Tiffany sich nie im Leben würde leisten können. »Ich freue mich zwar, dass

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