Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
Vom Netzwerk:
dererlei Dingen nich so vertraut sind, wars sehr aufschlussreich. Aber ich glaub, bei einigen is dazu noch die eine oder andre Frage offengeblieben.«
    Von einer geisterhaften Schreckensgestalt bedroht zu werden war schon schlimm genug, doch der Gedanke, sich von den Größten nach den Einzelheiten des menschlichen Ehelebens ausfragen zu lassen, war noch um einiges schlimmer. Da es keinen Sinn hatte, ihnen zu erklären, warum sie es ihnen nicht erklären würde, sagte Tiffany lediglich mit stählerner Stimme »Nein« und stellte den Kleinen Irren Arthur vorsichtig wieder auf den Boden. Sie fügte hinzu: »Ihr hättet nicht lauschen dürfen.«
    »Wieso denn nich?«, fragte der Doofe Wullie.
    »Weil man das nicht macht! Mehr sage ich nicht dazu. Das tut man einfach nicht. Und jetzt, meine Herren, möchte ich gern ein bisschen allein sein.«
    Natürlich würden ihr einige von ihnen folgen. Wie gehabt. Sie ging wieder nach oben in den Rittersaal und setzte sich ganz nah an den riesigen Kamin. Es war kalt, trotz der spätsommerlichen Temperaturen und obwohl an den steinernen Wänden zur Wärmedämmung Gobelins hingen, die mit den üblichen Motiven bestickt waren: Männer in Rüstungen, die andere Männer in Rüstungen mit Schwertern, Äxten, Pfeil und Bogen attackierten. Wenn man bedenkt, wie schnell und laut so eine Schlacht tobt, hatten sie wahrscheinlich alle paar Minuten eine Kampfpause einlegen müssen, damit die Damen mit dem Weben hinterherkamen. Den Wandteppich neben dem Feuer kannte Tiffany in- und auswendig, wie alle Dorfkinder, die ihre Geschichtslektionen anhand der Gobelins erhielten – falls sich zufälligerweise ein alter Mann fand, der ihnen erklären konnte, das darauf passierte. Aber als sie noch jünger gewesen war, hatte es ihr im Grunde viel mehr Spaß gemacht, sich selber irgendwelche Geschichten über die verschiedenen Ritter auszudenken – wie zum Beispiel über den einen, der verzweifelt hinter seinem Pferd herrannte, oder über einen anderen, der abgeworfen worden war und mit seinem spitzen Helm kopfüber in der Erde steckte, was, wie sie schon als Kinder messerscharf erkannt hatten, auf einem Schlachtfeld nicht gerade die beste Position ist. Die Ritter waren wie alte Freunde, erstarrt in einem Krieg, an dessen Namen sich im Kreideland niemand mehr erinnern konnte.
    Doch plötzlich war da noch eine andere Gestalt, eine, die nie zuvor auf dem Gobelin zu sehen gewesen war und mitten durch das Schlachtgetümmel auf Tiffany zugelaufen kam. Sie starrte den Mann an, und ihr Körper verlangte auf der Stelle nach Schlaf, doch die Reste ihres Verstandes, die noch funktionierten, befahlen ihr, etwas zu unternehmen. Wie von selbst griff ihre Hand nach einem Holzscheit, das am Rand das Feuers lag. Tiffany hielt es dem Wandbehang entschlossen entgegen.
    Der Stoff zerfiel fast vor Alterschwäche. Er würde brennen wie trockenes Gras.
    Die Gestalt pirschte sich jetzt vorsichtiger heran. Tiffany konnte – und wollte – noch keine Einzelheiten erkennen. Die Ritter waren ohne Perspektive eingewoben; sie waren so flach wie ein Kinderbild.
    Aber der Mann in Schwarz, der als ein Strich in der Ferne begonnen hatte, wurde im Näherkommen immer größer, und jetzt… Sie konnte das Gesicht und die leeren Augenhöhlen sehen und sogar erkennen, wie sich ihre Farbe veränderte, während er eine bunt bemalte Ritterrüstung nach der anderen hinter sich ließ. Und nun rannte er wieder und wuchs. Der Geruch quoll ihr entgegen… Wie viel mochte der Gobelin wohl wert sein? Hatte sie das Recht, ihn zu zerstören? Bevor dieses Ding aus ihm herausbrach? Ja , oh ja !
    Wie schön es wäre, ein Zauberer zu sein und die Ritter dazu zu bringen, eine letzte Schlacht zu schlagen!
    Wie schön es wäre, eine Hexe zu sein, die nicht hier war, sondern woanders! Sie erhob das knisternde Scheit und starrte zornig in die Höhlen, wo die Augen sitzen sollten. Man musste schon eine Hexe sein, um freiwillig diesem Blick standzuhalten, den es nicht gab, weil man das Gefühl hatte, dass einem dabei die Augäpfel aus dem Kopf gesogen wurden.
    Die Tunnel im Schädel hatten eine hypnotische Wirkung, und der Mann bewegte sich langsam hin und her, wie eine Schlange.
     
    »Tu es bitte nicht.«
    Damit hatte sie nicht gerechnet; die Stimme war eindringlich, aber freundlich – und sie gehörte Eskarina Schmied.
    Der Wind war silbern und kalt.
    Tiffany lag auf dem Rücken und blickte in einen weißen Himmel hinauf; am Rand ihres Gesichtsfeldes

Weitere Kostenlose Bücher