Das Mitternachtskleid
Gauer hat mir Tee gekocht, und ich durfte mir in ihrem Garten einen ganzen Scheffelkorb Liebe-in-der-Patsche pflücken, die nirgendwo sonst so prächtig gedeihen.« Tiffany holte kurz Luft. »Ach ja, und ich war auch noch auf einen Sprung in Rat-am-Ende, um einen Breiumschlag zu wechseln, und natürlich beim Baron. Danach hatte ich ›frei‹. Aber im Großen und Ganzen war es kein schlechter Tag, weil die meisten Leute sowieso nur den Jahrmarkt im Kopf hatten.«
»Wie ich sehe, hattest du einen arbeitsamen und zweifellos nützlichen Tag«, sagte die Kelda. »Aber ich hatte den ganzen Tag über düstere Vorahnungen, was dich angeht, Tiffany Weh.« Sie hob abwehrend ihre kleine nussbraune Hand, als Tiffany etwas einwerfen wollte. »Du weißt, dass ich über dich wache. Du bist die Hexe der Hügel, und ich habe dich im Geiste stets vor mir. Irgendjemand muss auf dich aufpassen, und ich habe die Macht dazu. Ich weiß, dass du das alles weißt, denn du bist klug, und ich weiß auch, dass du so tust, als ob du es nicht wüsstest, genau wie ich so tue, als ob ich nicht wüsste, dass ich es weiß, und das weißt du doch ganz bestimmt auch, oder?«
»Ich glaube, das muss ich erst mit Bleistift und Papier ausklamüsern.« Tiffany versuchte, das Thema mit einem Lachen beiseitezuwischen.
»Das ist nicht witzig! Ich sehe dich vor meinem geistigen Auge, umgeben von einer dunklen Wolke. Umgeben von Gefahr. Aber ich kann nicht erkennen, woher sie dir droht. Und das darf nicht sein!«
Bevor Tiffany antworten konnte, kam ein halbes Dutzend Größte aus dem Tunnel, die sich gemeinsam mit einem Teller abmühten. Tiffany, der als Hexe so leicht nichts entging, entging auch jetzt nicht, dass das blaue Muster am Tellerrand große Ähnlichkeit mit dem des zweitbesten Tafelservices ihrer Mutter hatte. Ansonsten war der Teller unter einer großen Scheibe Hammelfleisch und einer Portion Backkartoffeln begraben. Der Duft war so köstlich, dass ihr Magen das Denken übernahm. Eine Hexe aß, wann und wo immer sich die Gelegenheit dazu bot.
Das Fleisch war in zwei Hälften zerteilt worden, eine etwas kleinere für die Kelda und eine etwas größere für Tiffany. Genau genommen gibt es natürlich keine ungleich großen Hälften, weil es dann eben keine Hälften mehr wären, aber jeder Mensch weiß ja, was damit gemeint ist. Und weil eine Kelda ununterbrochen Nachwuchs in die Welt setzen muss, ist sie für ihre Größe mit einem enormen Appetit gesegnet.
Das Reden musste warten. Ein Größter brachte Tiffany ein Messer, beziehungsweise ein Koboldschwert, und hielt ihr eine ziemlich verdreckte Blechdose hin, in der ein Löffel steckte.
»Relish?«, fragte er schüchtern.
Jeannie versuchte zwar, ihren Größten so etwas wie Kultur einzutrichtern – auch wenn deren Aufnahmevermögen diesbezüglich recht begrenzt war –, aber eine Würzsoße zum Fleisch wirkte dann doch ein bisschen zu nobel für eine Koboldmahlzeit. Und obwohl die Entwicklung ihrer Esskultur zumindest in die richtige Richtung ging, blieb Tiffany wohlweislich auf der Hut.
»Was ist da drin?« Sie konnte sich die Frage nicht verkneifen, so riskant sie auch war.
»Lauter leckere Sachen.« Der Größte schüttelte die Büchse, dass der Löffel klapperte. »Holzäpfel und Senfkörner und Meerrettich und Schnecken und wilde Kräuter und Knoblauch und ne Prise Spätling – « Ein Wort hatte er verdächtig schnell heruntergehaspelt.
»Schnecken?«, unterbrach ihn Tiffany.
»Och, doch. Ja. Die sind total gesund, vollgestopft mit Fitaminen, Minderalien und vielen kleinen Proteenys. Und wenn man reichlich Knoblauch dranmacht, schmeckense sogar nach Knoblauch.«
»Und wonach schmecken sie ohne Knoblauch?«, fragte sie.
»Nach Schnecken.« Die Kelda eilte dem Serviergrößten zur Hilfe. »Sie sind wirklich eine Delikatesse. Die Jungs treiben sie nachts raus, damit sie Kuhkohl und Hundslattich weiden können. Die Schnecken schmecken, und gestohlen sind sie auch nicht. Das müsste doch eigentlich ganz in deinem Sinne sein.«
Was Tiffany nicht bestreiten konnte. Klauen, Mopsen und Stibitzen waren beliebte Freizeitaktivitäten bei den Größten. Andererseits konnten sie bei bestimmten Leuten am rechten Ort zur rechten Zeit aber auch mehr als großzügig sein, und genau das war an diesem Abend Tiffanys Glück.
»Trotzdem, ich kann mir das nicht vorstellen. Größte als Bauern?«, sagte sie.
»Nein, nein, nein«, widersprach der Wortführer, während seine Kumpane hinter seinem
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