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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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sie festsetzen könnte – ihr Leben ist die Geschwindigkeit. Sie fegen über die Landschaft wie ein Traum vom Wind. Die Häsin konnte es sich also leisten, völlig unbesorgt da zu hocken und zuzusehen, wie die langsame Welt vorüberzog.
    Aber plötzlich ging sie in Flammen auf. Sie brannte einen Moment lang lichterloh und schnellte dann, vollkommen unversehrt, pfeilgeschwind davon.
    Na schön, dachte Tiffany, als sie mit einem letzten Ruck den Besen aus dem Gestrüpp befreite, gebrauchen wir mal unseren gesunden Menschenverstand. Das Gras ist nicht angesengt, und Häsinnen gehen für gewöhnlich nicht einfach in Flammen auf. Also… Sie hielt inne. In ihrem Gedächtnis ging eine Luke auf.
    Die Häsin läuft ins Feuer.
    Hatte sie das irgendwo gelesen? Kam es in einem Lied vor? In einem Kinderreim vielleicht? Was hatte es mit der Häsin auf sich? Aber sie war eine Hexe, sie hatte zu arbeiten. Rätselhafte Omen konnten warten. Sie schwirrten sowieso immer und überall herum, das wusste man als Hexe. Die Welt ertrank fast in rätselhaften Omen. Man musste sich nur dasjenige aussuchen, das einem am besten in den Kram passte.
    Fledermäuse und Eulen wichen Tiffany mühelos aus, als sie über das schlafende Dorf hinwegflog. Das Haus der Mickers lag am äußersten Dorfrand. Es hatte einen Garten. Alle Häuser im Dorf hatten einen. In den meisten Gärten wuchs ausschließlich Gemüse oder – wenn die Frau die Hosen anhatte – zur einen Hälfte Gemüse und zur anderen Hälfte Blumen. Der Garten der Mickers bestand zur Gänze aus Brennnesseln.
    Tiffany hatte sich darüber schon immer schwarz geärgert. War es denn wirklich so schwierig, das Unkraut herauszureißen und ein anständiges Kartoffelfeld anzulegen? Das Einzige, was man dafür brauchte, war Mist, und davon gab es in einem Bauerndorf nun wirklich mehr als genug. Man musste sogar aufpassen, dass er einem nicht bis in die gute Stube nachlief. Herr Micker hätte es wenigstens versuchen können.
    Offenbar war er noch einmal in der Scheune gewesen. Wenn nicht er, dann jemand anderer, denn das Kind lag jetzt oben auf dem Strohhaufen. Tiffany hatte extra ein altes, aber noch brauchbares Laken mitgebracht, was auf jeden Fall besser war als Sackleinen und Stroh. Jemand hatte Blumen um den kleinen Leichnam gelegt, genauer gesagt: Brennnesseln. Und dieser Jemand hatte auch eine Kerze angezündet, die in einem einfachen Nachtlichthalter steckte. Ein Kerzenständer. Eine offene Flamme. Auf einem Strohhaufen. In einer Scheune voll von staubtrockenem Heu und noch mehr losem Stroh. Tiffany riss entsetzt die Augen auf. Über ihr ächzte es.
    Von einem der Dachbalken baumelte ein Mann.
    Das Holz knarrte. Staubflocken und Heuhalme rieselten herab. Tiffany fing sie auf und wollte schnell die Kerze ausblasen, bevor das nächste Krümelgestöber die ganze Scheune in Brand setzte. Doch da kam ihr der Gedanke, dass sie dann ganz allein im Dunkeln stehen würde, mit einer sich sanft drehenden, womöglich toten Gestalt unter der Decke. Sie stellte die Kerze vorsichtig neben die Tür und sah sich verzweifelt nach einem scharfen Werkzeug um. Aber das hier war Mickers Scheune, und bis auf eine Säge war alles stumpf.
    Das musste er sein, der da oben hing! Wer sonst? »Herr Micker?«, sagte sie und kletterte in das staubige Gebälk.
    Sie hörte so etwas wie ein pfeifendes Keuchen. Ob das ein gutes Zeichen war?
    Tiffany schlang ein Bein um einen Balken, damit sie eine Hand für die Säge frei hatte. Allerdings hätte sie gut noch zwei Hände mehr gebrauchen können, denn der Strick lag so stramm um den Hals des Mannes, dass die Zähne der Säge wirkungslos darüber hinweghoppelten. Er geriet noch heftiger ins Baumeln und fing zu allem Überfluss auch noch an zu strampeln, wodurch sich das Seil verdrehte. Gleich würde sie abstürzen.
    Etwas huschte durch die Luft, eine Klinge blitzte auf, und Micker fiel wie ein Stein zu Boden. Tiffany konnte nur mit Mühe das Gleichgewicht halten. Sie griff nach einem Sparren und hangelte sich – halb rutschend, halb kletternd – nach unten.
    Sie versuchte verzweifelt, den Strick zu lockern, aber er saß zu fest… Und dann hätte eigentlich ein Tusch erklingen müssen, denn plötzlich stand Rob Irgendwer vor ihr, das winzige, blanke Schwert in der Hand und ein großes Fragezeichen im Gesicht.
    Tiffany unterdrückte einen Seufzer. Wozu bist du eigentlich gut, Herr Micker? Warst du überhaupt schon mal für irgendwas zu gebrauchen? Kannst dich nicht mal richtig

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