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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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»Das meiste darin ist Stroh«, sagte er. »Fassen Sie mal mit an? Wenn es klirrt, ist der Dung am Dampfen.«
    Die Kiste war überraschend leicht. Dennoch hoben sie die wertvolle Fracht gemeinsam heraus und stellten sie behutsam auf die Straße. Der Kutscher förderte aus dem Stroh die Spiegelkugel zutage und hielt sie hoch wie ein kostbares Juwel. Und genauso sah sie auch aus. Sie funkelte und glitzerte wie ein Edelstein, versprühte gleißendes Licht und schoss blitzende Strahlen in die Landschaft. Und während der Mann die Kugel noch hochhielt, stieß er plötzlich einen Schmerzensschrei aus und ließ sie fallen. Sie zerbrach in tausend Teile, die für einen kurzen Augenblick tausende Spiegelbilder von Tiffany in die Luft zauberten. Leise wimmernd sank der Kutscher zusammengekrümmt in den weißen Staub, während es rings um ihn Glassplitter regnete.
    Im Nu – oder noch etwas schneller – war der stöhnende Mann von Größten umzingelt, bis an die letzten verbliebenen Zähne mit Schwertern, noch mehr Schwertern, Knüppeln, Äxten, Keulen und mindestens noch einem zusätzlichen Schwert bewaffnet. Tiffany hatte keine Ahnung, wo sie sich versteckt gehalten hatten; ein Größter konnte sich sogar hinter einem Haar verstecken.
    »Tut ihm nichts!«, rief sie. »Er wollte mir auch nichts tun! Er ist sehr krank. Aber ihr könnt euch nützlich machen und die Splitter zusammenklauben!« Sie kauerte sich auf die Straße und hielt dem Kutscher die Hand. »Wie lange leiden Sie schon an den Springenden Knochen?«
    »Ach, die quälen und martern mich schon seit zwanzig Jahren, Fräulein«, jammerte der Kutscher. »Das kommt von dem dauernden Geruckel. Die Aufhängung ist ausgeleiert, verstehen Sie? Ich muss schon Glück haben, wenn ich jede fünfte Nacht mal richtig durchschlafen will. Ungelogen. Kaum bin ich eingedöst, dreh ich mich ganz normal auf die andere Seite, und schon macht’s klick, und los geht’s mit den Schmerzen.«
    Mit Ausnahme von einigen vereinzelten Punkten am Rande des Gesichtsfeldes war niemand zu sehen – noch nicht einmal die Größten, da sie — jeglichem gesunden Menschenverstand zum Trotz – die Kunst des Sich-hintereinander-Versteckens vervollkommnet hatten.
    »Ich glaube, ich kann Ihnen helfen«, sagte Tiffany.
     
    Manche Hexen benutzten ein Wirrwarr, um in die Gegenwart zu sehen – und mit ein bisschen Glück auch in die Zukunft. In der rauchig düsteren Höhle der Größten jedoch versenkte sich die Kelda in das sogenannte Stickum — die Gesamtheit aller Geheimnisse, die man nur an Eingeweihte weitergab. Sie spürte deutlich, dass Amber sie aufmerksam beobachtete. Ein sonderbares Kind, dachte sie. Sie sieht, sie hört, sie versteht. Was würden wir nicht für eine Welt geben, in der mehr Leute wie sie leben? Die Kelda hatte ihren Kessel 18 aufgebaut und unter dem Leder ein kleines Feuer entfacht.
    Sie schloss die Augen, konzentrierte sich und las die Erinnerungen aller Keldas, die es je gegeben hatte und die es je geben würde. Millionen Stimmen wehten ungeordnet durch ihren Kopf, manchmal leise, nie sehr laut, oft verlockend nah. Es war eine wunderbare Informationsbibliothek, aber eine, in der die Bücher – und auch die Seiten – wild durcheinanderflogen. Irgendwelche Inhaltsverzeichnisse suchte man natürlich auch vergebens. Noch während des Zuhörens lösten sich die einzelnen Stränge einfach wieder auf, und die Kelda musste sich anstrengen, die kleinen Geräusche, winzigen Einblicke, unterdrückten Schreie und Bedeutungsströme zu verfolgen, die sie in die eine oder andere Richtung zogen … Aber dann war es da, direkt vor ihr, als wäre es schon immer da gewesen, und kristallisierte sich langsam immer deutlicher heraus.
    Sie öffnete die Augen, starrte an die Decke und murmelte: »Ich suche nach der großen kleinen Hexe, und was finde ich?«
    Noch einmal spähte sie hinein in den Dunst aus alten und neuen Erinnerungen. Plötzlich riss die Kelda so heftig den Kopf zurück, dass sie fast mit Amber zusammengeprallt wäre, die interessiert fragte: »Einen Mann ohne Augen?«
    »Ja, ich glaube, ich kann Ihnen helfen, Herr, äh …«
    »Teppichleger, Fräulein. William Glottis Teppichleger.«
    »Teppichleger?«, sagte Tiffany. »Aber Sie sind doch Kutscher. «
    »Ja, und dazu kann ich Ihnen auch gleich eine lustige Geschichte erzählen. Teppichleger ist mein Familienname, ja? Aber wir wissen alle nicht, wo wir ihn herhaben. Bei uns in der Familie hat nämlich noch nie einer einen

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