Das Mitternachtskleid
du hervorgekrochen bist! «
Alles klar, ein Verrückter, dachte Tiffany, aber wenn er –
Zu spät. Der drohende Zeigefinger des Mannes war ihrer Nase ein bisschen zu nah gekommen, und plötzlich stand ein Großaufgebot von Größten auf der Straße. Der Mann in Schwarz fuchtelte mit den Armen und schlug nach ihnen, was bei einem Kobold allerdings ein ziemlich sinnloses Unterfangen ist. Trotzdem brachte er im Angesicht der Übermacht noch erfolgreich hervor: »Hebt euch hinweg, ihr ruchlosen Wichte!«
Worauf sich sämtliche Größte erwartungsvoll umsahen. »Wichte?«, sagte Rob Irgendwer. »Hier gibts Wichte? Die können gleich was erleben! Aber jetzt bist du erst mal dran, Freundchen!« Darauf wollten sie ihn anspringen, doch sie landeten als großes Knäuel hinter ihm auf der Straße. Sie waren glatt durch ihn hindurchgeschossen. Noch während sie sich wieder hochrappelten, prügelten sie automatisch aufeinander ein, getreu der Devise: Bloß nicht aus dem Kampfrhythmus bringen lassen, wenn man gerade mal so richtig schön drin ist.
Der Schwarzgekleidete sah sie sich nur noch einmal kurz an, dann würdigte er sie keines Blickes mehr.
Tiffany starrte auf die Stiefel des Mannes. Sie glänzten in der Sonne, und das konnte gar nicht sein. Sie selbst lief auch erst seit ein paar Minuten hier herum, aber ihre Stiefel waren grau vom Straßenstaub. Und mit dem Boden, auf dem er stand, stimmte ebenfalls etwas nicht. Ganz und gar nicht. Erst recht nicht an einem heißen, wolkenlosen Tag wie diesem. Sie warf einen Blick auf die Pferde. Die geheimen Worte hielten sie am Platz, doch sie bebten vor Angst, wie Kaninchen im Angesicht des Fuchses. Tiffany schloss die Augen und sah ihn mit dem Ersten Blick an. Da wusste sie Bescheid. »Sie werfen keinen Schatten. Ich wusste doch gleich, dass da was faul ist.«
Und sie blickte dem Mann in die unter der breiten Hutkrempe fast verborgenen Augen und … er … hatte … keine: keine normalen Augen, keine blinden Augen, keine Augenhöhlen. Nur zwei Löcher im Kopf. Sie konnte durch sie hindurchsehen auf die qualmenden Felder dahinter. Nun geschah etwas, womit sie nicht gerechnet hatte.
Der Mann in Schwarz stierte sie noch einmal an und fauchte: »Du bist die Hexe. DIE Hexe. Wohin du auch gehst, ich werde dich finden.«
Damit verschwand er, und zurück blieb nur ein raufender Koboldhaufen.
Etwas streifte Tiffanys Stiefel. Sie senkte den Blick und sah in die Augen einer Häsin, die vor den brennenden Stoppeln geflohen sein musste. Sie starrten sich eine Sekunde lang an, dann sprang die Häsin in die Luft wie ein Lachs, der aus dem Wasser schnellt, und setzte über die Straße. Die Welt ist voll von Omen und Zeichen, und eine Hexe muss erkennen, welche wichtig sind. Fragte sich bloß, mit welchem Tiffany hier anfangen sollte.
Der Fahrer hatte von alldem nichts mitbekommen und lag immer noch zusammengesunken neben der Kutsche. Tiffany hatte im Grunde auch keine Ahnung, was da gerade passiert war, aber sie würde es schon noch herausfinden. »Sie können jetzt wieder aufstehen, Herr Teppichleger. «
Während er sich mit äußerster Vorsicht aufrichtete, schnitt er schon einmal vorsorglich eine Grimasse, fest darauf eingestellt, dass ihm im nächsten Augenblick die Schmerzen wieder wie Blitze in den Rücken fahren würden. Er drehte sich probeweise hin und her und hüpfte im Staub einmal auf und ab, als wollte er eine Ameise zerstampfen. Da sich nichts tat, legte er noch einen Hüpfer nach. Dann breitete er die Arme aus, schrie »Jiippiii!« und drehte eine Pirouette wie eine Ballerina. Der Hut fiel ihm vom Kopf, und seine genagelten Stiefel knallten in den Staub. Überglücklich sprang und wirbelte Herr Teppichleger herum und hätte beinahe auch noch ein Rad geschlagen. Als bei seinem Versuch nur ein halbes herauskam, landete er mit einer Rolle wieder auf den Füßen, schwang die verdutzte Tiffany in die Höhe und tanzte mit ihr die Straße hinunter. Dabei rief er: »Eins zwei drei, eins zwei drei, eins zwei drei«, bis es ihr lachend gelang, sich loszumachen. »Meine bessere Hälfte und ich gehen heute Abend tanzen, junge Dame. Walzer tanzen!«
»Aber ist das nicht dieser Ringelpiez mit Anfassen, der die Leute verdirbt?«, fragte Tiffany.
Der Kutscher zwinkerte ihr zu. »Die Hoffnung stirbt zuletzt! «
»Sie sollten es nicht übertreiben, Herr Teppichleger«, sagte sie warnend.
»Im Gegentum, Fräulein, genau das habe ich vor. Nach dem ganzen Geächze und Gestöhne und den
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