Das Mitternachtskleid
Welt rausgeh und rauskrieg, zu welchem Volk ich eigentlich gehör.«
»Volltreffer, Kumpel. Nu weißt du’s.« Rob Irgendwer schlug ihm auf die Schulter. »Gut, dass du auf ‘n Hauf’n alter Schuster gehört hast. Die wussten, wo dich der Schuh drückt.«
Er zögerte kurz, dann fuhr er fort: »Is bloß jammerschade, dass du – nix für ungut – ‘n Polyp bis.« Vorsichtshalber sprang er mit einem kleinen Satz nach hinten. Man konnte ja nie wissen.
»Wo du Recht hast, haste Recht«, sagte der Kleine Irre Arthur zufrieden. »Wogegen ihr ne Bande diebischer, versoffner Schurken und Halunken seid, denen das Gesetz am Steiß vorbeigeht!«
Die Größten nickten begeistert, nur Rob Irgendwer wandte ein: »Könnteste in deiner Liste nich auch noch irgendwo Ruhestörer und Rabauken unterbringen? Willst uns doch nich unter Wert verkaufen.«
»Was issn mit Schneckenwilderer, Rob?«, meldete sich der Doofe Wullie eifrig zu Wort.
»Na ja«, antwortete Rob Irgendwer. »Die Schneckenwilderei steckt momentan noch ‘n bisschen in den Kinderschuh’n.« »Habt ihr denn überhaupt keine guten Seiten?«, fragte der Kleine Irre Arthur verzweifelt.
Rob Irgendwer machte ein verdutztes Gesicht. »Eigentlich hamwer gedacht, das wär’n unsre guten Seiten, aber wennde pinglig sein willst: Wir bestehl’n keinen, der kein Geld hat, wir ham ‘n Herz aus Gold, auch wenns vielleicht – okay, meistens – das Gold von jemand anderm is, und wir ham das frittierte Hermelin erfunden. Das muss schließlich auch was gelten.«
»Wieso is das denn ne gute Seite?«, fragte Arthur.
»Na, dann brauchts nich erst ‘n andrer armer Teufel erfinden. Man könnts ne Geschmacksexplosion nennen. Man beißt rein, man schmeckts, und dann gibts ne Explosion. «
Der Irre Kleine Arthur grinste; er konnte nicht anders. »Habt ihr denn überhaupt kein Schamgefühl am Leib?«
Rob Irgendwer grinste zurück. »Keine Ahnung«, antwortete er. »Aber wenn, hats wahrscheinlich früher wem anders gehört.«
»Und was soll jetzt aus dem armen kleinen großen Mädchen werden, das im Wachhaus hinter Gittern und Schloss und Riegel sitzt?«, fragte der Kleine Irre Arthur.
»Ach, die hält schon bis morgen früh durch«, sagte Rob Irgendwer von so hoch oben herab, wie es ihm unter den ihm gegebenen Umständen möglich war. »Sie is ne Hexe, die was auffem Kasten hat und sich immer irgendwie zu helfen weiß.«
»Meinste? Ihr Radaubrüder habt ne ganze Kneipe in ihre Kleinholzeinzelteile zerlegt! Ich kann mir nich vorstell’n, wie einer das wieder ausbügeln will.«
Rob Irgendwer musterte ihn nachdenklich, bevor er antwortete: »Na gut, Herr Wachtmeister. Du bis ein Größter und ein Polyp. Da kann man nu mal nix dran ändern. Aber ich hab ne große Frage für euch zwei beide: Seid ihr auch ein Spitzel und ein Petzer?«
Im Wachhaus war Schichtwechsel. Ein Wachmann kam herein und überreichte Frau Prust schüchtern eine große Platte mit kaltem Braten und Gewürzgurken sowie eine Flasche Wein und zwei Gläser. Mit einem nervösen Seitenblick auf Tiffany flüsterte er Frau Prust etwas ins Ohr, worauf diese im Handumdrehen ein kleines Päckchen aus ihrer Tasche hervorzauberte und ihm in die Hand drückte. Dann setzte sie sich wieder zu Tiffany ins Stroh.
»Braver Junge. Hat sogar schon die Flasche entkorkt und den Wein ein Weilchen atmen lassen«, sagte sie und fügte erklärend hinzu: »Obergefreiter Hüpfkins hat ein kleines Problem, von dem seine Mutter nichts erfahren darf, und er bekommt von mir eine spezielle Wundsalbe dafür. Kostenlos, versteht sich. Eine Hand wäscht die andere. Obwohl ich beim jungen Hüpfkins nur hoffen kann, dass er sie vorher auch gründlich schrubbt.«
Tiffany hatte noch nie Wein getrunken; bei ihr zu Hause gab es Dünnbier oder Dünnapfelwein, gerade stark genug, um das unsichtbare bissige Geziefer abzutöten, aber nicht so stark, dass man davon mehr als ein bisschen lustig wurde.
»Ich hatte es mir im Gefängnis ganz anders vorgestellt«, sagte sie.
»Gefängnis? Kind, ich sagte doch, wir sind nicht im Gefängnis. Wenn du wissen willst, wie es im Gefängnis zugeht, musst du nur mal einen Besuch im Tanty machen. Das reinste Höllenloch. Hier spucken einem die Schließer wenigstens nicht ins Essen – höchstens, wenn keiner guckt. Und in mein Essen sowieso nicht, das kannst du mir glauben. Im Tanty wird mit eisernem Besen gekehrt. Wer da drin landet, überlegt es sich lieber dreimal, ob er wieder etwas anstellt. Sicher,
Weitere Kostenlose Bücher