Das Mitternachtskleid
sie der Wache doch hoch und heilig versprochen haben, hinter Gittern zu bleiben? « Frau Prust hatte es offenbar darauf angelegt, ihren guten Ruf in Sachen Garstigkeit zu verteidigen.
Tiffany räusperte sich. »Nun ja«, sagte sie. »Rob Irgendwer würde Ihnen vermutlich antworten, dass ein Versprechen manchmal gehalten, aber manchmal auch gebrochen werden muss. Und dass nur ein Größter den Unterschied kennt.«
Frau Prust grinste. »Alle Achtung. Man könnte dich fast für einen Stadtmenschen halten, Fräulein Tiffany Weh.«
Wenn man etwas bewachen wollte, das auch ohne Bewachung auskam, weil kein vernünftiger Mensch je auf die Idee käme, es zu stehlen, war Korporal Nobbs von der Stadtwache dafür genau der richtige Mann – so man ihn denn in Ermangelung eines hieb- und stichfesten biologischen Gegenbeweises als einen solchen bezeichnen will. Und solange niemandem eine bessere Bezeichnung einfällt. In dieser Nacht stand er in den dunklen, knackenden Trümmern von Des Königs Kopf und rauchte eine ekelhafte Zigarette, die er sich aus den stinkenden Stummeln alter Kippen zusammengedreht hatte und nur mit angestrengtem Paffen dazu bringen konnte, überhaupt so etwas Ähnliches wie Rauch von sich zu geben.
Korporal Nobbs sah weder die Hand kommen, die ihm den Helm abnahm, noch den mit großer Präzision geführten Schlag, der auf seinem Schädel landete. Und von den schwieligen kleinen Händen, die ihm den Helm wieder aufsetzten und seinen bewusstlosen Körper auf die Erde betteten, bekam er schon gleich gar nichts mehr mit.
»Okay«, flüsterte Rob Irgendwer heiser und warf einen Blick auf die schwarzen Balken. »Ihr wisst, dass wir nich viel Zeit ham, Jungs, also – «
»Na, wen hamwer denn hier?«, sagte eine Stimme im Dunkeln. »Dacht ich’s mir doch gleich, dass ich euch hier wiedertreff, wenn ich lang genug warte. Wie ein Hund zu seinem Erbrochenen und ein Dummkopf zu seiner Dummheit kehrt auch der Täter zurück an den Tatort.«
Der Wachmann namens Kleiner Irrer Arthur riss ein Streichholz an – eine ziemlich beachtliche Fackel für einen Größten. Mit leisem Scheppern landete ein Blechding, das einem Größten gut als Schild hätte dienen können, für einen menschlichen Polizisten aber lediglich eine Dienstmarke darstellte, vor ihm auf dem Boden. »Damit ihr Blödköppe sehn könnt, dass ich nich im Dienst bin, okay? Ohne Marke kein Polyp. Ich wollt bloß wissen, wieso ihr Blindgänger genauso palavert wie ich, obwohl ich ja nun mal kein Größter nich bin.«
Alle Größten sahen Rob Irgendwer an. Der zuckte mit den Schultern und fragte: »Und was meinste biste sonst?«
Der Kleine Irre Arthur fuhr sich mit den Händen durch die Haare. Nichts fiel heraus. »Also, meine alten Herrschaften ham mir gesagt, dass ich ’n Gnom bin, genau wie sie … «
Er musste sich unterbrechen, weil die Größten sich johlend und jauchzend auf die Schenkel klatschten, was immer einige Zeit in Anspruch nehmen kann.
Nachdem sich der Kleine Irre Arthur ihre Sperenzchen eine Weile mit angesehen hatte, brüllte er: »Ich find das gar nich witzig!«
»Hör dich doch ma an.« Rob Irgendwer wischte sich die Tränen aus den Augen. »Du quatschst unsre Sprache, das hört doch ne Taube! Ham dir deine Mami und dein Papi das nich erzählt? Wir Größten könn’n schon sprechen, wenn wir auffe Welt kommen. Potzblitz! So wie ‘n Hund bellen kann! Du, ‘n Gnom? Ich lach mich schlapp! Als Nächstes willste mir noch weismach’n, du wärst ne Elfe!«
Der Kleine Irre Arthur senkte den Blick auf seine Stiefel. »Diese Stiefel hat mein Vater für mich gemacht«, sagte er. »Ich konnt mich nich überwinden, ihm zu beichten, dass ich lieber barfuß lauf. Die Schuhmacherei liegt nämlich seit Jahrhunderten in der Familie, aber ich war ne totale Niete beim Schustern, und eines Tages ham mich die Stammesältesten zusammengerufen und mir verraten, dass ich ‘n verlorenes Findelkind bin. Sie warn unterwegs in ‘n neues Lager, und da ham sie mich plärrend am Straßenrand gefunden, ‘n winzigkleines Kerlchen. Und neben mir lag ‘n toter Sperber, den ich mit bloßen Händen erwürgt hatte, nachdem der mich aus meiner Wiege geraubt hatte. Er wollt mich wohl mit nach Haus nehmen und an seine Jungen verfüttern. Die alten Gnome ham sich beraten und mir verklickert, dass ich gern bei ihnen bleiben dürfte, weil ich so gut darin bin, Füchse totzubeißen und so, aber es wär vielleicht doch an der Zeit, dass ich in die große weite
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