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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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sie hatten, über die Augen rutschte und ihnen Segelohren verpasste. Nicht zu vergessen den Brustharnisch, der dermaßen durchlöchert war, dass man ihn sinnvoller als Suppensieb hätte benutzen können.
    Doch sein Blick war hellwach und so scharf, dass den anderen Leuten unbehaglich wurde. Preston machte die Augen auf. Er machte die Augen so weit auf, dass sich die Dinge, die er ansah, hinterher tatsächlich angesehen fühlten . Tiffany hatte keine Ahnung, was in ihm vor sich ging, aber es würde sie nicht wundern, wenn in seinem Kopf ein ziemliches Gedränge herrschte.
    »Tja, ich muss zugeben, dass ich mir über das Wort ›paradox‹ noch nie Gedanken gemacht habe«, sagte sie bedächtig. »Aber metallisch und glatt klingt es auf jeden Fall.«
    »Ich mag Wörter«, sagte Preston. »›Vergebung‹: Hört sich das nicht genauso an wie das, was es ausdrückt? Klingt es nicht wie ein seidenes Taschentuch, das zu Boden schwebt? Oder auch ›raunen‹. Finden Sie nicht auch, dass Verschwörungen und Geheimnisse darin mitschwingen? … Entschuldigung, stimmt was nicht?«
    »Das könnte durchaus der Fall sein«, antwortete Tiffany und sah ihn nachdenklich an. »Raunen« war ihr Lieblingswort, und bis jetzt hatte sie noch nie einen Menschen getroffen, der es auch nur kannte. »Warum bist du Wachmann geworden, Preston?«
    »Für Schafe habe ich nicht allzu viel übrig, und zum Pflügen bin ich nicht kräftig genug. Um Schneider zu werden bin ich zu ungeschickt, und ich habe zu viel Angst vor dem Ertrinken, um von zu Hause wegzulaufen und auf dem nächstbesten Schiff anzuheuern. Meine Mutter hat mir gegen den Wunsch meines Vaters Lesen und Schreiben beigebracht. Und weil ich damit für jede anständige Arbeit überqualifiziert war, haben sie mich bei einem Priester der Omnianischen Kirche in die Lehre gegeben. Da hat es mir ganz gut gefallen, und ich habe massenhaft interessante Wörter gelernt, aber zum Schluss haben sie mich rausgeschmissen, weil ich zu viele Fragen gestellt habe. Wie zum Beispiel: ›Ist das wirklich wahr?‹« Brian zuckte mit den Schultern. »Wachmann zu sein ist gar nicht so übel.« Er zog ein Buch aus seinem Brustharnisch, in dem er mühelos die Bestände einer kleineren Bibliothek hätte unterbringen können. »Wenn man aufpasst und sich nicht erwischen lässt, hat man viel Zeit zum Lesen. Aber die Arbeit ist auch unter metaphysischen Gesichtspunkten nicht uninteressant. «
    Tiffany blinzelte. »Da komme ich jetzt leider nicht mehr mit.«
    »Ehrlich nicht?«, sagte der Junge. »Na, wenn ich zum Beispiel Nachtwache habe und jemand ans Tor kommt, muss ich ihn fragen: ›Wer da? Freund oder Feind?‹ Worauf es natürlich nur eine richtige Antwort gibt: ›Ja.‹«
    Tiffany, bei der der Groschen erst nach einigen Sekunden fiel, begriff allmählich, warum Preston beruflich auf keinen grünen Zweig kam. Er fuhr fort: »Paradox wird es erst, wenn der Mensch vor dem Tor ›Freund‹ sagt; er könnte schließlich lügen. Aber die Jungs, die nachts rausmüssen, haben sich auf meine Frage ein eigenes Schibboleth zurechtgetüftelt, und das geht so: ›Nimm die Nase aus dem Buch, Preston, und lass uns sofort rein!‹«
    »Und ein ›Schibboleth‹ wäre …?« Der Junge war wirklich faszinierend. Man lernte nicht oft jemanden kennen, der aus Unsinn Sinn spinnen konnte.
    »Eine Art Kennwort«, sagte Preston. »Genau genommen ist es ein Wort, das ein Feind niemals aussprechen könnte. Im Falle der Herzogin würde sich als Schibboleth zum Beispiel ›bitte‹ anbieten.«
    Tiffany musste sich ein Lachen verbeißen. »Sei lieber vorsichtig, Preston. Sonst bringt dich dein Kopf noch mal ganz schön in die Bredouille.«
    »Dann ist er ja wenigstens für etwas zu gebrauchen.«
    Aus der abgelegenen Burgküche gellte ein Entsetzensschrei. In der Reaktion auf ein solches Ereignis zeigt sich der Unterschied zwischen Mensch und Tier: Der Mensch läuft hin und sucht das Opfer, das Tier läuft weg und sucht das Weite. Obwohl Tiffany nur Sekunden hinter Preston am Ort des Geschehens eintraf, waren sie trotzdem nicht die Ersten. Frau Pamps, die Köchin, saß schluchzend auf einem Stuhl und wurde bereits von einigen Küchenmägden getröstet, während ihr ein anderes Mädchen den Arm mit einem Geschirrtuch verband. Vom Fußboden stieg Dampf auf, und ein schwarzer Kessel lag umgekippt auf der Seite.
    »Glaubt es mir, sie waren da!«, brachte die Köchin stockend hervor. »Wie sie gezappelt haben! Das werde ich mein Lebtag nicht

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