Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
Vom Netzwerk:
draufhaben«, fügte er hoffnungsvoll hinzu.
    »Das ließe sich bestimmt einrichten«, antwortete Tiffany. »Bloß, eine Hexe macht so etwas nicht. Außerdem bringt es praktische Probleme mit sich.«
    Preston nickte ernst. »Ja, das glaub ich gern. Zum einen die unterschiedlichen Körpermassen. Man hätte hinterher entweder eine einzige menschengroße Kakerlake, die vermutlich unter ihrem Eigengewicht zusammenbrechen würde, oder Dutzende, wenn nicht gar Hunderte menschenförmige Kakerlaken. Der Haken daran wäre allerdings, dass sie eine ziemlich eingeschränkte Gehirnfunktion hätten – es sei denn, man hätte die richtigen Zaubersprüche auf Lager. Dann könnte man alle menschlichen Teile, die nicht in die Kakerlaken passen, in einen großen Eimer hexen, damit sie jederzeit darauf zurückgreifen können, wenn sie keine Lust mehr haben, klein zu sein. Nur, was macht man, wenn zum Beispiel ein hungriger Hund vorbeikommt, und der Deckel ist nicht drauf? Dann steht man ganz schön dumm da. Entschuldigung, habe ich etwas Falsches gesagt?«
    »Äh, nein. Äh, sag mal, Preston, bist du nicht ein bisschen zu klug für einen Wachmann?«
    Preston zuckte mit den Schultern. »Meine Kameraden halten nicht viel von mir«, antwortete er unbekümmert. »Sie finden, dass mit einem, der das Wort ›fantastisch‹ aussprechen kann, ohne sich dabei die Zunge abzubrechen, irgendwas nicht stimmt.«
    »Aber Preston … ich sehe doch, dass du sehr intelligent und sprachlich so versiert bist, dass du verstehst, was mit sprachlich versiert gemeint ist. Warum stellst du dich dann manchmal dumm? Ich sage nur ›Doktriniertitel‹ oder ›Rabenaas Korbaas‹.«
    Preston grinste. »Leider wurde ich klug geboren, Fräulein, aber ich habe gelernt, dass es hin und wieder klüger ist, nicht ganz so klug zu sein. Das macht das Leben leichter. «
    Tiffany kam der Gedanke, dass es momentan wahrscheinlich das Klügste wäre, sich so schnell wie möglich aus dem Rittersaal fortzumachen. Aber konnte das grässliche Weib wirklich so viel Schaden anrichten? Andererseits hatte Roland sich so seltsam benommen und sie behandelt, als ob sie nie Freunde gewesen wären. Als glaubte er jede Anschuldigung, die gegen sie erhoben wurde … So war er noch nie gewesen. Ja, gewiss … er trauerte. Trotzdem kam es ihr vor … als wäre er nicht er selbst. Und der fürchterliche alte Drachen war einfach losgestürmt, um ihn zu bedrängen, während er in der kühlen Gruft von seinem Vater Abschied nahm und versuchte, die Worte zu finden, für die im Leben nie genügend Zeit gewesen war. Während er alles tat, um das viel zu tiefe Schweigen zu überwinden, um das Gestern zurückzuholen und fest im Heute zu verankern.
    So war es immer. Tiffany hatte schon an einigen Totenbetten gesessen. Wenn der Sterbende eine anständige alte Seele gewesen war und die Last der Jahre von sich warf, konnte es regelrecht heiter dabei zugehen. Tragisch war es, wenn der Tod sich hatte bücken müssen, um Ernte zu halten. Und manchmal war es auch einfach, nun ja, ganz normal – traurig, aber nicht unerwartet, wie das Erlöschen eines Lichts am Sternenhimmel. Und während Tiffany Tee kochte und die Angehörigen tröstete und sich von Menschen – in denen sich viele ungesagt gebliebene Dinge angestaut hatten – tränenreiche Geschichten aus alten Zeiten anhörte, war sie zu dem Schluss gekommen, dass diese Dinge von vornherein nicht dafür bestimmt gewesen waren, ausgesprochen zu werden, sondern dafür, im Hier und Jetzt in Erinnerung zu bleiben.
    »Wie finden Sie das Wort ›paradox‹?«
    Tiffany, den Kopf noch immer voll ungesagter Worte, starrte Preston verwundert an. »Was hast du da gerade gesagt? «, fragte sie.
    »Das Wort ›paradox‹«, wiederholte Preston bereitwillig. »Finden Sie nicht auch, dass es, sobald man es ausspricht, im Kopf wie eine kupferfarbene Schlange aussieht, die sich zum Schlafen zusammengerollt hat?«
    Okay, dachte Tiffany. An einem Tag wie diesem würde jede Nicht-Hexe eine solche Aussage als bloßen Firlefanz abtun. Was bedeutet, dass ich sie ernst nehmen muss.
    Preston war der am schlechtesten ausstaffierte Wachmann in der ganzen Burg; das waren die Auszubildenden immer. Sie bekamen Kettenhosen, die zum größten Teil aus Löchern 25 bestanden und zu der Vermutung Anlass gaben, dass sich Motten – im Gegensatz zu allem, was wir über sie zu wissen glauben – doch durch Stahl hindurchfressen können, und dazu einen Helm, der ihnen, egal, welchen Kopfumfang

Weitere Kostenlose Bücher