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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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ihrem Körper heraus. Sie wurde immer besser darin. Manchmal übte sie den Trick vor Tieren, weil die sich nicht so schnell täuschen ließen. Doch auch die Tiere wurden nervös und liefen weg, sobald sie spürten, dass sie offenbar nur einen losgelösten Verstand vor sich hatten. Aber die Menschen? Die Menschen konnte man leicht an der Nase herumführen. Solange nur der Körper da blieb, wo man ihn abgestellt hatte, hin und wieder mit den Augen blinzelte, immer schön weiteratmete, die Balance hielt und die ganzen anderen kleinen Aufgaben erledigte, zu denen ein Körper seinen Besitzer nicht braucht, glaubten die Leute, man wäre noch da.
    Langsam glitt sie auf die betrunkene Köchin zu, die nicht aufhörte zu keifen und zu geifern, die Gift und Galle spie – und Speicheltröpfchen, die ihr an ihren zahlreichen Kinnen hängen blieben.
    Und da roch Tiffany den Gestank. Schwach nur, aber unverkennbar. Ob sie in ein Gesicht mit zwei Löchern blicken würde, wenn sie sich umdrehte? Nein, so schlimm konnte es noch nicht sein. Vielleicht dachte der Tückische nur an sie. Sollte sie davonlaufen? Nein. Das hätte keinen Sinn, denn er konnte überall sein. Aber sie musste wenigstens versuchen, das Unheil hier in der Küche einzudämmen.
    Tiffany achtete immer sehr darauf, nicht durch andere Menschen hindurchzugehen. Es war zwar möglich, aber obwohl sie theoretisch ebenso wesenlos war wie ein Gedanke, fühlte es sich an, als wate man durch einen Sumpf – klebrig, eklig und dunkel.
    An den Küchenmägden, die wie hypnotisiert dastanden, war sie bereits vorbei. Wenn sie sich außerhalb ihres Körpers befand, schien die Zeit langsamer zu vergehen.
    Ja, die Flasche Sherry war so gut wie leer, und hinter einem Sack Kartoffeln lugte auch noch eine zweite, restlos ausgetrunkene hervor. Und Frau Pamps hatte eine Fahne. Sie war einem Gläschen Sherry oder auch zweien schon von jeher sehr zugetan gewesen; vielleicht war das eine Berufskrankheit bei Köchinnen, genau wie das wabbelige Dreifachkinn. Aber woher kamen ihre wüsten Beleidigungen? Hatte die Köchin sie schon immer mal aussprechen wollen, oder hatte er sie ihr in den Mund gelegt?
    Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen, dachte sie. Es konnte nicht schaden, sich diesen Satz fest einzuprägen. Aber ich bin auch dumm gewesen, und das sollte ich mir ebenfalls gut merken.
    Die Frau, die mit ihren Schmähreden die Mägde noch immer in ihren Bann zog, sah in der verlangsamten Welt abgrundtief hässlich aus: Ihr Gesicht glühte rot, und wenn sie den Mund aufmachte, quollen üble Gerüche hervor. Zwischen ihren ungeputzten Zähnen steckte ein Essensrest. Tiffany machte einen kleinen Schritt zur Seite. Ob es wohl möglich wäre, mit der unsichtbaren Hand in ihren derben, plumpen Körper zu greifen und ihr Herz anzuhalten?
    Ein solcher Gedanke war ihr noch nie zuvor gekommen. Natürlich konnte man, wenn man sich außerhalb seines Körpers befand, nichts anfassen. Aber galt das auch, wenn man versuchte, ein schwaches Fließen zu unterbinden, ein Fünkchen zu ersticken? Sogar ein dralles Trampeltier wie die Köchin konnte mit einer winzigkleinen Störung zu Fall gebracht werden. Dann würde das dumme rote Gesicht erschlaffen, der Pesthauch aus ihrem Hals würde versiegen, und der geifernde Mund würde für immer –
    Erste Gedanken, Zweite Gedanken, Dritte Gedanken und die äußerst seltenen Vierten Gedanken reihten sich in ihrem Kopf wie Planeten auf und schrien aus einem Mund: Das sind nicht wir ! Pass auf, was du denkst!
    Tiffany fuhr derart rüde wieder in ihren Körper, dass sie um ein Haar umgekippt wäre, wenn Preston, der direkt hinter ihr stand, sie nicht aufgefangen hätte.
    Schnell! Erinnere dich daran, dass Frau Pamps erst vor sieben Monaten ihren Mann verloren hat, befahl sie sich. Und denk daran, dass sie dir, als du noch klein warst, immer Plätzchen geschenkt hat. Vergiss nicht, dass sie sich mit ihrer Schwiegertochter zerstritten hat und ihre Enkelkinder nicht mehr sehen darf. Wenn du dich darauf besinnst, siehst du eine arme alte Frau vor dir, die zu viel getrunken und zu viele Klatschgeschichten gehört hat – von diesem unangenehmen Fräulein Proper, um nur eine zu nennen. Das darfst du nicht vergessen, denn wenn du es ihr mit gleicher Münze heimzahlst, wirst du genauso, wie er dich haben will! Lass nicht zu, dass er dir wieder in den Kopf kriecht!
    Preston gab ein Brummen von sich. »Ich weiß ja, dass man so etwas zu einer Dame nicht sagt, aber Sie

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