Das Mönchskraut
Bett, nicht weit vom Kamin. Der alte Kopf mit dem schütteren grauen Haarkranz, der die Tonsur umgab, nickte immer wieder.
Er sah stolz und zufrieden aus - ein Mann, der trotz aller Widrigkeiten des Lebens bekommen hatte, was ihm zustand.
Das spitze Kinn mit dem Stoppelbart reckte sich nach vorn, die buschigen Brauen sträubten sich in alle Richtungen. Die kleinen, scharfen Augen - fast farblos in ihrem matten Grau, hatten allen Glanz verloren, blickten aber dennoch triumphierend in die Runde. Denn auf dem Stuhl neben seinem Bett saß ein kräftiger, dunkelhaariger Bursche und sprudelte walisische Worte hervor wie eine Bergquelle. Das Hemd das alten Mannes war über die knochigen Schultern nach unten gezogen, und ein Pfleger rieb ihm das Eisenhutöl in den Rücken, was dem Patienten vergnügte Grunzlaute entlockte.
»Wie ich sehe, ist mir jemand zuvorgekommen«, flüsterte Cadfael an der Tür in Bruder Edmunds Ohr.
»Ein Verwandter«, erklärte Bruder Edmund ebenso leise.
»Ein junger Waliser aus dem Norden der Grafschaft, wo Rhys geboren wurde. Anscheinend ist er heute hergekommen, um den Bonels beim Umzug zu helfen. Ich glaube, er arbeitet als Geselle bei Mistreß Bonels Sohn. Er hat sich nach dem alten Mann erkundigt, und das war sehr nett von ihm. Ich führte ihn zu Rhys, der sich sofort über seine Schmerzen beschwerte. Der Bursche erbot sich, ihm den Rücken einzureiben, ich erlaubte es ihm, und er ging gleich ans Werk. Aber da du schon mal hier bist, kannst du dich mit ihnen unterhalten. Wenigstens brauchen sie nicht Englisch zu sprechen, wenn sie mit dir reden.«
»Hast du dem Burschen gesagt, daß er sich danach gründlich die Hände waschen soll?«
»Ich habe ihm sogar gezeigt, wo er das tun kann und wo er die Flasche verwahren muß, wenn er fertig ist. Nach deiner beängstigenden Lektion will ich alle nötigen Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Ich habe ihm deutlich klargemacht, was das Zeug anrichten kann, wenn man es falsch anwendet.«
Der junge Mann unterbrach seine Bemühungen, als Cadfael neben das Bett trat, und stand ehrerbietig auf. Aber Cadfael bedeutete ihm, sich wieder hinzusetzen. »Ich will dich nicht stören, mein Junge, ich wollte nur meinen alten Freund besuchen. Wie ich sehe, hast du mir meine Arbeit bereits abgenommen. Du machst deine Sache sehr gut.«
Der junge Mann fuhr fort, das scharf riechende Öl in Rhys' alte Schultern zu kneten. Er war vier-oder fünfundzwanzig Jahre alt und stark gebaut. Er hatte ein knochiges, gutmütiges Gesicht, von Wind und Wetter braun und gegerbt, ein glattrasiertes walisisches Gesicht, das von unerschütterlicher Willenskraft zeugte. Sein Haar war ebenso schwarz, dicht und drahtig wie seine Brauen. Mit einem fröhlichen Lächeln sprach er auf Bruder Rhys ein und hänselte ihn sogar ein bißchen, als wäre der greise Patient ein kleines Kind. Und damit hatte er Bruder Cadfaels Herz gewonnen, denn Rhys war tatsächlich wieder zum Kind geworden. Und heute war er viel lebhafter als sonst. Der unerwartete Besuch an seinem Krankenbett tat ihm gut.
»Siehst du, Cadfael«, krächzte er und stemmte die Schultern genüßlich den knetenden Fingern entgegen, »meine Familie hat mich nicht vergessen. Der Sohn meiner Nichte Angharad ist zu mir gekommen, mein Großneffe Meurig. Ich erinnere mich noch gut an den Tag, wo er geboren wurde ... Nein, nein, ich meine natürlich den Tag, an dem die kleine Tochter meiner Schwester auf die Welt kam. Es ist schon so viele Jahre her, seit ich sie zuletzt gesehen habe - und dich, mein Junge. Da fällt mir ein - eigentlich hättest du schon früher zu mir kommen können. Aber heutzutage haben die jungen Leute eben keinen Familiensinn mehr.« Selbstgefällig teilte er Lob und Tadel aus, fast im gleichen Atemzug, doch dies war das Vorrecht eines Patriarchen. »Und warum ist das Mädchen nicht da? Warum hast du deine Mutter nicht mitgebracht?«
»Die Reise vom Norden der Grafschaft nach Shrewsbury ist lang«, entgegnete der junge Meurig, »und zu Hause gibt's immer viel zu tun. Aber ich lebe jetzt ganz in deiner Nähe. Ich arbeite hier in der Stadt bei einem Zimmermann und Holzschnitzer, also wirst du mich von nun an öfter sehen. Ich will dich regelmäßig mit diesem Öl einreiben, und im Frühling wirst du wieder die Schafe auf die Bergweise führen.«
»Meine Nichte Angharad«, murmelte der alte Mann und lächelte versonnen, »war das hübscheste kleine Ding in der halben Grafschaft, und als sie heranwuchs, wurde sie eine
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