Das Molekular-Café
ließ im
Notfall die Befestigung beliebiger Ballons am Skaphander zu.
»Fangen Sie in einer Stunde an, Signalraketen abzufeuern«,
sagte er zu Mironow. »Alle fünf Minuten eine Rakete. Achten
Sie auch auf die Satelliten.«
Etwas unsicher ging er über den geneigten Boden der Fahrerkabine
und öffnete ein Wandschränkchen. Aufmerksam verfolgte Mironow
jede seiner Bewegungen, ohne jedoch zu begreifen, was der andere
vorhatte. Tscherednitschenko nahm einen Raketengurt heraus.
Das zwanzigste Jahrhundert kannte viele neue technische Sportarten, die
schnell wie die Menschheit selbst waren. Gewöhnliche Auto- und
Motorradrennen, Fallschirm- und Segelflugsport waren von Wasserski- und
Unterwasserbootsport abgelöst worden. Seit der Entwicklung der
Kosmonautik hatten sich Tausende begeistert dem Raketenflugsport
verschrieben.
Tscherednitschenko gehörte zu den ersten Landesmeistern in dieser
neuen Sportart. Sprünge von einem halben Kilometer waren für
ihn eine Kleinigkeit. Seinen letzten Rekord hielt er bereits über
drei Jahre.
Alle Kosmonauten beherrschten die Kunst, mit dem Raketengurt zu
fliegen. Wegen der schwer einzuschätzenden Entfernung und der
möglichen schlimmen Folgen wurden die Gurte auf dem Mond nicht
verwendet. Tscherednitschenko hatte, weil sich kein Partner fand, immer
allein trainiert. Nie trennte er sich von seinem Raketengurt. Die
geringere Anziehungskraft des Mondes – auf der Erde betrug sie
das Sechsfache – erlaubte ihm Sprünge, von denen er auf der
Erde nicht zu träumen gewagt hätte. Mit geübtem
Handgriff schloß Tscherednitschenko die Gurtschlösser. Und
erst da begriff Mironow, daß er allein bleiben sollte, in dem
beschädigten Fahrzeug inmitten unwegsamer Felsen, und daß
vor ihm die dreihundert Stunden währende eisige Mondnacht lag.
Was wird aus mir? dachte er in panischer Furcht. Er machte einen
Schritt auf Tscherednitschenko zu, um ihn zurückzuhalten. Auf der
Eiskruste rutschte er aus und fiel, lächerlich mit den Armen
rudernd, auf den Rücken. Tscherednitschenko beugte sich über
ihn und bemerkte hinter Mironows Helmscheibe angstvoll aufgerissene
Augen. Hätte er Zeit gehabt, dieser Blick hätte ihn
nachdenklich gemacht. Aber der unerbittliche Zeiger zählte nicht
mehr die Minuten, sondern die Sekunden, die Lebedinski verblieben
waren. Das war jetzt wichtiger als alles andere.
Tscherednitschenko reichte Mironow die Hand und half ihm beim Aufstehen.
»Ich fliege Lebedinski entgegen«, sagte er. »In einer
Stunde, wenn Schröders ›Grashüpfer‹ naht, gehen
Sie mit dem Signalwerfer hinaus. Vergessen Sie nicht, die Peilwinkel
anzugeben. Die ›Potomac‹ ist nicht mehr weit, sie hilft
uns bei der Suche nach Ihnen. Sauerstoff haben Sie genug.« Er
wandte sich zur Ausstiegsluke.
Über dem beschädigten »Grashüpfer« schienen,
ohne zu flackern, gleichgültig die Sterne. Tiefschwarze Nacht
ringsum. Tscherednitschenko suchte den Himmel nach dem Deneb ab. Da war
er. Leuchtete, als wäre nichts geschehen…
Für Sekunden wurde Tscherednitschenko von Grauen gepackt. Er war
sich der Gefahren eines solchen Nachtflugs bewußt. Sobald man
sich vom Boden abgehoben hatte, verlor man jedes Gefühl für
Höhe und Tiefe. Man wußte nicht, wohin man flog, ob hinauf
zu den Sternen oder auf gratige Felsen hinab. Unwillkürlich malte
er sich aus, wie er auf einem Berg aufschlagen würde. Das
schnürte ihm die Kehle zu.
Langsam legte er die Hände auf den Steuerhebel des Raketengürtels…
Dieser Flug war zweifellos Tscherednitschenkos beste Leistung. Aber in
keinem Kampfrichterprotokoll wurde sie festgehalten. Für sie gab
es weder Urkunde noch Auszeichnung. Dennoch waren sich alle Fachleute
einig, daß Tscherednitschenko einen unvorstellbaren Rekord
aufgestellt hatte, der in Dutzenden von Jahren nicht zu brechen war.
Tscherednitschenko versicherte später, der Flug sei gar nicht so
schwierig gewesen. Wer sollte das nachprüfen? Niemand hatte den
Mut, das Husarenstück zu wiederholen.
Der Flug im Raketengurt hatte nicht lange gedauert. Nach drei Minuten
hatte Tscherednitschenko unter sich die doppelten Markierungslichter
erblickt. Schwebend setzte er auf der Straße auf. Dann hastete er
mit Riesensprüngen weiter, bis der Treibstoff im Raketengurt
verbraucht war. Nach zehn Minuten erblickte er im Lichtschein seiner
Lampe eine häßliche Metallspinne, die in ihren Vorderklauen
einen Mann im Skaphander trug.
Er eilte Lebedinski mitten auf der Straße entgegen, wobei er hastig den Havarieballon
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